Zu einer verlorenen Dimension zurückfinden

Bei unserer Arbeit auf der Schwelle zum Leben kommen wir Hebammen eigentlich zwangsläufig in Kontakt mit der spirituellen Dimension von Schwangerschaft und Geburt. Wir erfahren, dass wir längst nicht alles kontrollieren können. Wir erleben, dass Kräfte wirken, die wir nicht erklären können und dass uns Wissen zuteil werden kann, das nicht rational zu definieren ist. Solche Erfahrungen machen demütig. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass Spiritualität im Alltag von Schwangerenbegleitung und klinischer Geburtshilfe kaum einen Raum hat.
Spiritualität ist nichts Abgehobenes und auch kein „interkultureller Selbstbedienungsladen“, in dem man sich mit den Weisheiten oder Ritualen fremder Kulturen versorgt. Die spirituelle Dimension der Geburtshilfe, um die es hier geht, eröffnet den Zugang zu einer anderen Ebene des Wissens, die in unserer westlichen Medizin kaum integriert ist. Sich dieser Dimension zu öffnen, heißt Schulung der Achtsamkeit, der eigenen Selbst- und Körperwahrnehmung.

Diese Ebene unserer Arbeit anerkennen, heißt auch, die spirituellen Bedürfnisse der Frauen im Prozess des Mutterwerdens wahrzunehmen. In Zeiten, in denen Schwangerenvorsorge und Geburtshilfe von Technologie und Kontrolle dominiert sind, ist es die Aufgabe von Hebammen, dem spirituellen Vakuum unserer Geburtskultur entgegenzuwirken. Das bedeutet, Frauen zurückzuführen zu einem Gefühl für ihren Körper, für ihr Kind und für sich selbst – zu ihrer Intuition, ihren Ressourcen und ihrer eigenen Kraft. Damit die natürlichen Vorgänge zu einem Prozess des Wachsens und der Reife werden. Diese Begleitung wird uns nur dann gelingen, wenn wir selbst von der spirituellen Dimension in unserer Arbeit überzeugt sind, wenn wir uns selbst die Möglichkeit geben, sie zu erleben.

Im Bewusstsein der umfassenden Bedeutung von Spiritualität bei der Begleitung von Schwangerschaft und Geburt erhalten viele Aspekte der Hebammenarbeit – wie die Geburtsschmerzen, das Aushalten von Ungewissheiten, das Zulassen von Ängsten – einen anderen Wert für alle Beteiligten. Deshalb wird es Zeit, dass Spiritualität als wichtiger Teil des Hebammenwissens auch Eingang findet in unsere Wissenschaft und die Ausbildung von Hebammen. Es ist ein Geschenk unseres Berufs, dass er uns anbindet an etwas, das größer ist als wir selbst. Dementsprechend sollten wir – für uns und für die Frauen – dafür sorgen, dass spirituelle Räume offen sind, damit sich Geburt ereignen kann. Und ebenso sind wir dafür verantwortlich, dass dieses Wissen weitergegeben wird, damit Hebammenschülerinnen die Chance haben, daran teilzuhaben und spirituell zu wachsen.