Zur innersten Existenz

  • Katja Baumgarten: „Als Hebamme müssen wir Bedingungen schaffen, unter denen sich die Gebärende für ihre innere Arbeit maximal geschützt fühlt.“

  • Schmerz ist die zwingendste Empfindung, die wir erleben – für diejenigen, die ihn ertragen, wie für die Nächsten, die ihm gegenüberstehen und hilflos mitleiden, wenn sie ihm nichts entgegenzusetzen haben. Bei allem, was wir über ihn wissen, gehört der Schmerz dennoch zu den Mysterien der Geburt des Menschen. Keine Frau kann im Voraus wissen, wie sie die Wehen empfinden wird: Sie können in verschiedenen Phasen unterschiedlich schmerzhaft sein, auch unabhängig von ihrer Intensität. Und bei jeder weiteren Geburt wird sie die Wehen wieder anders erleben.

    Weil Eva im Paradies die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis aß, müssen Frauen „unter Schmerzen gebären" – eine der göttlichen Konsequenzen, die uns die Bibel in der Schöpfungsgeschichte nennt. Der „Sündenfall" ist der Ausgangspunkt einer Kultur von Schuld und Strafe, mit der die Fruchtbarkeit lange Zeit untrennbar verbunden schien. Die moderne Medizin tritt mit dem Angebot der PDA, einer ausgereiften Methode der Analgesie, der Bestrafung entgegen und löst den Bann des christlichen Gottesfluches. Wie gut, dass wir heute die Wahl haben, ob wir die Herausforderung einer Geburt ohne Betäubung annehmen möchten, dass es einen Ausweg gibt, wenn der Schmerz unerträglich wird. Die PDA ist Ausdruck der Emanzipation der Frau, Abkehr von religiösem Diktat, Schutz vor einer traumatischen Erfahrung. Ist sie gleichzeitig ein Verlust von Spiritualität? Warum überhaupt noch den Geburtsschmerz auf sich nehmen? Was kann die Gebärende empfinden, wenn auf der Geburt kein Fluch mehr lastet?

    Die Schmerzen bei der Geburt sind ungerecht: Sie sind Wehe für Wehe neue Mutproben, die die eigenen Grenzen herausfordern – beim Ausweichen und Flüchten können sie übermächtig, beängstigend werden und sich zerstörerisch anfühlen. Kann man ihnen mit Vertrauen, innerer Sicherheit und Lust entgegen gehen, können sie zu erotischem Rausch, Trance und Verbundenheit mit dem Kind führen und nichts mit den Empfindungen zu tun haben, die sich die meisten unter Geburtsschmerzen vorstellen. Beide Pole der Erfahrung können nahe beieinander liegen: Eine falsche Position, eine Störung im Raum, ein Missklang wirken sich sofort aus. Die Hingabe an die wilden Geburtskräfte schafft eine Öffnung zur innersten Existenz, bei der im Höhepunkt eine Todesahnung enthalten sein kann. Dass dieser Moment mit der tatsächlichen Geburt des Kindes zusammenfällt, ist ein gegenseitiges Geschenk von beiden, Mutter und Kind. Der Vogel Phönix, der aus seiner Asche verjüngt wieder aufersteht, ist ein Bild für eine Erneuerung, die jeder kennt, der erfolgreich durch Krisen gegangen ist. Die aktive Geburt als Teil unserer Sexualität, ist die Chance zu einer nachhaltigen Stärkung unserer Potenz in unserem Leben als Frau und Mutter, der wir uns bei unserer Wahl bewusst sein sollten. Als Hebamme müssen wir Bedingungen schaffen, unter denen sich die Gebärende für diese innere Arbeit maximal geschützt fühlt.