Traumhaft verbunden
Das erste Mal wundervolle sechs oder gar acht Stunden durchschlafen zu können, ist wahrscheinlich ein Highlight für jedes Elternpaar. Es ist aber auch ein großer Entwicklungsschritt des Kindes, denn im Laufe der Nacht selbstständig wieder einzuschlafen, stellt hohe Ansprüche an die selbstregulatorischen Leistungen.
Schlaf ist immens wichtig für die körperliche wie geistige Fitness und somit für die Lernbereitschaft, genauso elementar wie Nahrung und – insbesondere im Kindesalter – emotionale Zuwendung. Es überrascht daher keineswegs, dass die Schlafstruktur und der Schlafbedarf abhängig vom Alter eines Menschen sind. Schließlich haben der Körper und das Gehirn eines Säuglings, Klein- oder Schulkindes andere Aufgaben zu bewältigen als im Erwachsenen- oder Seniorenalter. Einschlafen und Wiedereinschlafen ist ein hoch individueller, entwicklungsabhängiger Prozess.
Kindliche Fähigkeiten
Für einen Säugling ist Alleinsein zunächst gleichbedeutend mit Verlassensein. In stammesgeschichtlicher Zeit war dies lebensbedrohlich. Gerade beim Übergang in den Schlaf stört alles Beunruhigende – das gilt selbst für Erwachsene. Die notwendige Geborgenheit für diesen Übergang vermittelt im Säuglingsalter zunächst die Gegenwart der Eltern. Erst bedeutend später genügt die innere Sicherheit, dass die Eltern bei Bedarf verfügbar sind.
Mit etwa sechs Monaten sind erste Zeichen der sogenannten Objektpermanenz feststellbar. Aber es dauert noch mehrere Monate, bis ein Kind kognitiv wirklich erfassen kann, dass seine Eltern es schützen und umsorgen, selbst wenn sie momentan nicht zugegen oder wahrnehmbar sind. Dennoch: Gerade in der Einschlafphase ist die Anwesenheit der Eltern noch lange stärker gefragt als zu anderen Tageszeiten.
Definition
Objektpermanenz
ist die Fähigkeit zu wissen, dass Dinge und Personen auch dann noch existieren, wenn sie nicht wahrgenommen werden können. Sie ist in Ansätzen bei Kindern nachweisbar, die etwa ein halbes Jahr alt sind. Etwa mit neun Monaten beginnt ein Kind tatsächlich nach Gegenständen zu suchen, die aus seinem Blickfeld verschwunden sind.
Traditionelles Schlafen
Stammesgeschichtlich garantierte eine ganz bestimmte Schlafsituation das Überleben des Nachwuchses: Im direkten Kontakt zur Mutter waren Nahrung, Wärme und Schutz sichergestellt. Ein Säugling schlief tagsüber wie nachts im Körperkontakt. Hieran ist er nach wie vor angepasst. Selbst ältere Kinder legten sich früher in direkter Nähe zum Schlafen, falls sie müde wurden, bevor sich die gesamte Familie zur gemeinsamen Ruhe zurückzog.
Wir müssen uns nicht exakt an stammesgeschichtliche Vorgaben halten. Doch ein Umfeld sollte nicht zu sehr von den evolutionären Anpassungen abweichen. Die Mismatch-Theory geht davon aus, dass sich eine fehlende Passung unserer biologischen Ausstattung an die heutige kulturelle Umwelt in Verhaltensauffälligkeiten oder Verhaltenspathologien äußern kann. Die kognitiven beziehungsweise entwicklungsphysiologischen Fähigkeiten setzen Grenzen. Ein Säugling kann entsprechend seiner biologischen Möglichkeiten kaum vor etwa einem dreiviertel Jahr erfassen, dass er nicht verlassen und nach wie vor sicher und geschützt ist, wenn seine Eltern nicht bei ihm sind. In den ersten Lebensmonaten wird er dann das Gefühl des Verlassenseins als beängstigende Erfahrung in seine weitere Entwicklung mitnehmen. Denn seine grundlegenden Ängste werden seitens der Eltern nicht wahrgenommen und adäquat beantwortet. Diese verstörende Erfahrung wird nicht nur den Aufbau einer sicheren Bindungsbeziehung beeinträchtigen. Wiederholt erlebter starker Stress stellt die Weichen für die Art der Verarbeitung zukünftiger Lebenssituationen und die Reaktion auf Stressbelastungen und kann so bis ins Erwachsenenalter Einfluss nehmen (Grossmann & Grossmann 2012).
Was bedeutet Schlafen?
Beim Einschlafen wechseln wir weder in einen Energiesparmodus noch in einen passiven Zustand. Schlaf dient zwar allgemein der Erholung und Entspannung des Körpers und des Gehirns, doch wird diese Beschreibung seiner Bedeutung nicht gerecht. Es ist eine hoch komplexe Angelegenheit, die aktive Vorgänge und fein austarierte neuronale wie hormonell gesteuerte Mechanismen umfasst. Nach dem Einschlafen sinken die Werte des Stresshormons Cortisol, in der Tiefschlafphase können hohe Werte der Wachstumshormone nachgewiesen werden. Zellreparaturen und Wachstum auf allen Ebenen geschehen vor allem nachts.
Dieser Punkt ist besonders wichtig für die Ausreifung des kindlichen Gehirns und somit für die Entwicklung des zentralen Nervensystems. Eiweißstoffe und Blutkörperchen werden produziert, das Immunsystem wird angekurbelt und die Wundheilung beschleunigt. Abfallprodukte werden entsorgt – auch im Gehirn! Lerninhalte werden geprüft, verworfen oder verfestigt, Unwichtiges zurückgedrängt oder gelöscht. Gerade in der Kindheit scheint der Schlaf für die Überführung des Wissens vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis und für die Verarbeitung der sprachlichen Erfahrungen wichtig zu sein (Horvárth & Plunkett 2016).
Die Angst vorm Plötzlichen Kindstod
Co-Sleeping kommt den stammesgeschichtlichen Anpassungen im Säuglingsalter am nächsten. Getrennt von der Mutter zu schlafen, reduziert bei Neugeborenen den Anteil des ruhigen Schlafs um 86 % (Morgan et al. 2011). Schlafen Kind und Mutter zusammen, sind die Schlafzyklen beider synchron. Es besteht eine bessere Angleichung an circadiane Rhythmen, die individuellen Abläufe von Schlafen und Wachen. So ist das circadiane Cortisol-Muster des Kindes gesünder. Die Oxytocinausschüttung durch Körperkontakt und Stillen macht zudem schläfrig und lässt beide Beteiligten schneller wieder einschlafen. Dieses Schlafarrangement ist zudem mit häufigerem und länger andauerndem Stillen pro Nacht über Monate hinweg verbunden. Nachvollziehbar, da es den geringsten Aufwand für die Mutter erfordert. Gleichzeitig kommt es den Bedürfnissen des Säuglings entgegen (Baddock et al. 2019; Ball 2008; Ball et al. 2016; Bovbjerg et al. 2018; Gettler; McKenna 2011; McKenna; Gettler 2015; McKenna & McDade 2005; McKenna et al. 1997; Mosko et al. 1997).
Co-Sleeping oder Bed-Sharing ist in vielen Ländern umstritten, da es das Risiko eines Plötzlichen Kindstodes (Sudden Infant Death Syndrome/SIDS) erhöhen soll. Genaue Analysen der zugrundeliegenden Literatur belegten, dass die tatsächlichen Schlafkonstellationen, die zu dieser Einschätzung führten, meist nicht umfassend geklärt oder überhaupt nicht berücksichtigt wurden. Co-Sleeping birgt nur in bestimmten Situationen ein Risiko. So tritt SIDS in den USA am häufigsten in sozial benachteiligten Gruppen auf, ebenso wenn Zigaretten-, Alkohol- und Drogenkonsum das Schlafen begleiten (Bartick & Tomori 2019; Blair et al. 2014).
Werden bestimmte Vorgaben berücksichtigt, ist Co-Sleeping indirekt sogar ein Schutz vor dem Plötzlichen Kindstod, da es die Wahrscheinlichkeit für nächtliches Stillen erhöht. Beobachtungen zeigten, dass Kind und Mutter meist einander zugewandt liegen, die Mutter oft leicht seitlich, das Kind in Rückenlage zur Mutter orientiert. Dass es sich auf den Bauch dreht, ist unwahrscheinlich, da es die Ausrichtung zur Brust auch im Schlaf sucht. Zudem fallen Mutter und Kind kaum in extrem tiefen Schlaf, wechseln schneller und häufiger in leichtere Schlafzustände, was vor allem in den ersten Wochen die SIDS-Gefahr verringert. Durch die leichteren Schlafzustände mit erhöhtem REM-Anteilen und einen hohen Prolaktinspiegel durch das Stillen, der die Aufmerksamkeit der Mutter erhöht, erfasst sie auch schneller ungewöhnliche Situationen ihres Kindes, oft ohne dabei richtig wach zu werden. Mütter reagierten im Verlauf von Schlaf-Labor-Beobachtungen sofort, waren die Atemwege des Kindes zugedeckt. Mütter in direktem Kontakt zu ihren Kindern reagieren hoch sensibel auf ungewöhnliche Situationen (Ball 2006, 2009; Henziger 2017; McKenna und McDade 2005; McKenna et al. 1994; McKenna et al. 2007; Richardson et al 2010; Thompson et al 2017; Shinohara und Kodama 2012).
All dies schützt vor dem Plötzlichen Kindstod – vorausgesetzt, bestimmte Vorgaben werden berücksichtigt. In Schweden ist die SIDS-Rate am geringsten, obwohl es gleichzeitig die höchste Co-Sleeping-Rate aufweist (Welles-Nystrom 2005; Thompson et al. 2017).
Die Schlafphasen
Schlaf besteht aus einer Abfolge verschiedener physiologischer Zustände: Der traumarme Non-REM-Schlaf (Non-REM), wird in den »Übergang vom Wachzustand in eine Art Halbschlaf«, den »Übergangsmoment zum Tiefschlaf« und den »Tiefschlaf« einteilt. Er wird vom Rapid-Eye-Movement-Schlaf (REM) abgelöst. Den verschiedenen Phasen werden unterschiedliche Funktionen zugeschrieben. Im Neugeborenenalter spricht man zunächst vom ruhigen und aktiven Schlaf (Quiet Sleep – QS und Active Sleep – AS), die etwa dem Non-REM- und den REM-Schlaf entsprechen.
Anstell- oder Beistellbett?
Mütter, die mit ihrem Kind in einem Bett schlafen, sollten gesundheitlich nicht beeinträchtigt sein oder Medikamente nehmen, die die Schlafverhaltensweisen und Wahrnehmungen verändern könnten. In diesem Fall bieten sich Anstell- oder Beistellbetten für das Kind an, die nächtliches Stillen erleichtern. Gegebenenfalls ist dies ein Schlafarrangement, das den Bedürfnissen der Eltern entgegenkommt, falls sie einem Zusammenschlafen mit dem Baby nicht so offen gegenüberstehen sollten. Auf diese Weise können auch Partnerschaftsprobleme oder Ängste, das Kind im Schlaf zu schädigen, vermieden werden. Alles, was das nächtliche Stillen erleichtert, sollte genutzt werden. Denn Stillen reduziert nicht nur das SIDS-Risiko, sondern fördert auch Bindung und Entwicklung.
Die Eltern-Kind-Bindung
Beeinflusst die Schlafkonstellation das Bindungsgeschehen? Unter anderem. So wie alles, was den Grundbedürfnissen eines Kindes entgegenkommt, wird auch die Schlafsituation seine Einschätzung der Welt und seine Einstellung dazu beeinflussen. Auch wenn bisher kein direkter Zusammenhang zwischen Schlafsituation und Bindung ermittelt werden konnte, weil die Faktoren zu vielschichtig sind, so deutet sich dennoch ein Zusammenhang an. Sicher gebundene Kinder weisen ein anderes Schlafmuster auf, sie schlafen besser und haben eine bessere Schlafregulation (Belanger et al. 2015; Pennestri et al. 2015; Mileva-Seiz et al. 2016; Simard et al. 2017).
Da Co-Sleeping oder Bed-Sharing das Stillen fördern, spricht auch dieser Zusammenhang für einen positiven Einfluss auf das Bindungsgeschehen, zumindest indirekt (Mosko et al. 1997; Britton 2006).
Der Anteil aktiver Schlafphasen in der Nacht fördert ruhigeres Verhalten und Ausgeglichenheit des Babys im Wachzustand. Dies wiederum ist günstig für die emotionale Situation der Eltern und unterstützt ihre Bereitschaft, auf die Bedürfnisse ihres Kindes einzugehen (Shinohara & Kodama 2012).
Vorgaben zum Co-Sleeping
- Nur das Bett mit einer festen Matratze dient als Schlafort, nicht etwa ein Sofa oder ähnliches.
- Es sollten keine dicken Federbetten oder Kissen verwendet werden und es sollten keine Bänder vorhanden sein.
- Das Kindes sollte so liegen, dass es weder durch Bettritzen oder die Wand eingeengt wird, noch über die Bettkante herausfallen kann.
- Risikofaktoren sind Rauchen von Vater und Mutter vor und nach der Geburt, Alkohol- und Drogenkonsum. Auch eine Frühgeburt erhöht das Risiko des Plötzlichen Kindstodes. Medikamentöse Behandlungen der Eltern müssen ebenfalls berücksichtigt werden.
Quergedacht
Was sich in anderweitigen Untersuchungen herausstellte, wird sich wahrscheinlich auch auf die Schlafsituation auswirken: Je mehr direkten Körperkontakt Mütter zu ihren Kindern haben, desto feinfühliger gehen sie auf die kindlichen Bedürfnisse ein. Dies stellte sich 1990 in einer Untersuchung von Elizabeth Anisfeld heraus, in der Mütter gebeten wurden, ihre Kinder möglichst täglich in einer Tragehilfe am Körper zu tragen (Anisfeld et al. 1990). Die Studie wurde in Familien durchgeführt, deren kritisches soziales Umfeld üblicherweise eher zu einer unsicheren Bindung des Kindes führte. Wenn bereits das regelmäßige und vergleichsweise kurze Tragen eines Säuglings in einer Tragehilfe die Sensivität der Mütter so erhöht, dass die Kinder signifikant häufiger eine sichere Bindung aufbauen können, so dürfte nächtlicher Körperkontakt ähnliche Effekte haben.
Literatur
Anisfeld E, Casper V, Nozyce M, Cunningham N: Does infant carrying promote attachment? An experimental study of the effects of increased physical contact on the development of attachment. Child Development 1990. 61, 1617–1627
Baddock SA, Purnella MT, Blair PS, Pease AS, Elder DE, Galland BC: The influence of bed-sharing on infant physiology, breastfeeding and behaviour: A systematic review. Sleep Medicine Reviews 2019. 43, 106–117
Ball HL: Airway covering during bed-sharing. Child care health dev 2009. 33(5), 728–737
»
Ich bin Abo-Plus-Leserin und lese das ePaper kostenfrei.
Ich bin Abonnentin der DHZ und erhalte die ePaper-Ausgabe zu einem vergünstigten Preis.
Upgrade Abo+
Jetzt das Print-Abo in ein Abo+ umwandeln und alle Vorteile der ePaper-Ausgabe und des Online-Archivs nutzen.