Erst Aufwand, dann Mehrwert
Noch vor zehn Jahren hätte man sich nicht vorstellen können, dass die Hebammenarbeit digitalisiert wird. Und auf den ersten Blick hat originäre Hebammenarbeit auch nichts mit Digitalisierung zu tun.
Bei genauerem Hinsehen findet aber eine Digitalisierung schon lange statt. Seit den 1990er Jahren haben viele Hebammen auf eine elektronische Abrechnung umgestellt. Die Älteren unter uns erinnern sich bestimmt noch an die Disketten, die man dafür in den Rechner schieben musste. Während sich die Abrechnung auf veränderte Abläufe der Organisation bezog, veränderte die Einführung der Mobiltelefone und später dann der Smartphones auch die Kommunikation mit den betreuten Frauen und Familien. Es wurde immer weniger telefoniert, dafür zunehmend gechattet. Gleichzeitig veränderten sich damit die Ansprüche an die Verfügbarkeit der Hebammenarbeit. »Always on«, also immer erreichbar, immer eine schnelle Reaktion – das musste dann oft erst einmal in Bahnen gelenkt werden, wie erreichbar die einzelne Hebamme denn sein wollte oder konnte.
Somit gibt es zwei Seiten, die im Themenfeld der Digitalisierung betrachtet werden müssen: die organisatorischen Abläufe (Struktur) und die inhaltlichen Abläufe (Prozesse).
Strukturelle Abläufe verbessern
Die Veränderung und Verbesserung der strukturellen Abläufe betrifft zum Beispiel die Organisation der Abrechnung, die digitale Dokumentation, die Online-Kursanmeldung und die Online-Terminvereinbarung. Dafür stehen inzwischen verschiedene Anbieter zur Verfügung und diese Angebote werden bereits zunehmend von Hebammen genutzt, um administrative Abläufe zu reduzieren. Sie werden als deutliche Entlastung in der täglichen Arbeit betrachtet.
Gleichzeitig wurde in den letzten Jahren die Nutzung von digitalen Angeboten auf die Versorgung innerhalb der originären Hebammenarbeit ausgedehnt. So nutzen Hebammen digitale Formate für Anmeldegespräche, für Online-Beratungen oder Online-Kurse. Es liegen inzwischen Ergebnisse verschiedener internationaler Studien vor, die in den letzten Jahren erforscht haben, wie die Akzeptanz der Frauen und Familien, aber auch der Hebammen, gegenüber den Angeboten aus dem Bereich der digitalen Versorgung ist. Hierbei geht es in erster Linie um Prävention und Gesundheitsförderung. Dabei zeigt sich, dass die Nutzer:innen diese Angebote nutzen und positiv bewerten (Willcox et al. 2015).
Das deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie aus Deutschland, die aufzeigt, dass Frauen und Hebammen die Angebote der digitalen Versorgung auch über die Pandemie hinaus aufrechterhalten möchten (Schlömann et al. 2021). Somit verliert die Digitalisierung den Status einer Notlösung und etabliert sich innerhalb der Regelversorgung als Erweiterung und Ergänzung zum bestehenden Angebot.
Telematik in der Hebammenarbeit
Mit Inkrafttreten des Terminservice- und- Versorgungsgesetzes (TSVG) aus dem Jahr 2019 wurde festgehalten, dass die Versorgung mit Hebammen verbessert werden soll. Im Gesetz zur Digitalen Versorgung (DVG), das ebenfalls von 2019 stammt, wurde dann beschlossen, dass Hebammen die Möglichkeit erhalten, wichtige Daten zur Schwangerschaft und Mutterschaft in der elektronischen Patient:innenakte (ePA) zu dokumentieren, die über die Daten des elektronischen Mutterpasses hinausgehen. Um das vollumfänglich nutzen zu können, muss die Hebamme die Telematikinfrastruktur nutzen – ein geschlossenes Netz, das alle Leistungserbringer:innen des Gesundheitswesens verbindet und zu dem nur registrierte Nutzer:innen Zugang haben.
Das bedeutet, dass die Nutzung der Telematikinfrastruktur (TI) über die reine Digitalisierung hinausgeht. Und auch hier sind zwei Bereiche betroffen: die organisatorischen Abläufe (Struktur) und die inhaltlichen Abläufe (Prozesse). Allerdings verändert die Nutzung der strukturellen Möglichkeiten die originäre Arbeit nicht. Zu den Instrumenten der TI gehören:
- der Zugang zum System durch den elektronischen Heilberufeausweis (eHBA)
- ein Konnektor für die Verbindung zur TI
- ein Kartenlesegerät, um die Daten der betreuten Frau und des eHBA auslesen zu können
- ein VPN-Zugang (Netzwerkverbindung).
In der Praxis sieht es so aus, dass die Nutzung der Möglichkeiten, innerhalb der elektronischen Patient:innenakte (ePA) zu dokumentieren, ähnlich erfolgt wie beim Online-Banking. Das, was hier so umfangreich klingt, wird im Alltag so aussehen, dass die technischen Voraussetzungen durch Dienstleister:innen zur Verfügung gestellt und deutlich einfacher zu benutzen sein werden, als man sich das vorstellt. Um beim Beispiel des Online-Bankings zu bleiben, ist auch da nur bei der ersten Aktivierung der Aufwand höher, danach läuft es sehr unkompliziert.
Die ePA ist eine App, die die betreute Frau auf ihrem Smartphone, Tablet oder Rechner hat. Damit die Hebamme die hinterlegten Daten und Dokumente nutzen kann, muss die Frau die Hebamme – und auch alle anderen Akteur:innen im Gesundheitssystem – aktiv »freischalten«. Erst dann haben diese Zugriff auf die Informationen und können auch selbst Dokumente ausfüllen und einstellen.
Das ist im Falle der Hebamme auch relevant für die Nutzung des elektronischen Mutterpasses (eMP) und des elektronischen Kinderuntersuchungsheftes (eKU). Die Kosten für die Anbindung werden für die Hebammen übrigens von den Krankenkassen übernommen (DVG 2019).
Zusammengefasst bedeutet dies, dass jede Hebamme, die sich der Telematikinfrastruktur anschließt, künftig alle zur Verfügung stehenden Dokumente gleichberechtigt mit Arztpraxen, Kliniken oder Apotheken nutzen kann.
Allerdings gestaltet sich der Start deutlich holpriger als geplant. Eine der Startschwierigkeiten besteht darin, dass das System erst dann sicher ist, wenn nahezu alle Leistungserbringer:innen auch an die TI angeschlossen sind. Davon sind wir zurzeit weit entfernt, da die Akteur:innen im Gesundheitswesen erst zu einem sehr kleinen Anteil die Telematikinfrastruktur nutzen. Für Hebammen muss auch die Vergabe des eHBA geklärt werden – da gilt es noch einige organisatorische Hürden zu nehmen. Somit kann realistisch von einer flächendeckenden Nutzung der TI frühestens ab dem kommenden Jahr ausgegangen werden. Das bedeutet für die Hebammen, dass genügend Zeit ist, um sich mit den Gegebenheiten vertraut zu machen.
Anbindung an die Telematikinfrastruktur
Genauso wie die Digitalisierung hat auch die TI Auswirkungen auf die Versorgung der Frauen und Familien. Durch die Anbindung an die TI und die Etablierung einer ePA wird man in besonderer Weise den Forderungen der Patient:innenvertretungen gerecht, die seit Jahren ein Mitspracherecht und einen Zugang zu ihren Gesundheitsdaten fordern (Hecker 2020).
Die inhaltlichen Abläufe verändern sich zum Beispiel, wenn es darum geht, wie (weitere) Fachpersonen in die Behandlungsprozesse involviert werden können. Dabei liegt vor allem das Augenmerk auf der interprofessionellen Zusammenarbeit – und da besonders auf den Bereichen Informationsaustausch und Kommunikation.
Innerhalb der TI wird es eine Kommunikationsplattform (KIM) geben, auf der Daten, Befunde und Informationen sicher ausgetauscht werden. Aber auch Telekonsile – eine Art Konferenzschaltung – unter Einbeziehung der Perspektive der betreuten Frauen werden möglich. Somit ist die Schwangere oder Mutter nicht mehr nur diejenige, über die gesprochen, sondern mit der gesprochen wird. Die aktive Partizipation an den Behandlungsprozessen ist eines der geforderten Ziele der Digitalisierung. Hebammen können an den entscheidenden Schnittstellen die physiologischen Anteile der jeweiligen Prozesse mit einbringen.
Digitale Kompetenz
Die Digitalisierung und die Nutzung der Telematikinfrastruktur werden das Gesundheitssystem nachhaltig verändern. Es werden Daten gesammelt – erstmals von Geburt an – es werden digitale Anwendungen (DiGAs), die bereits seit Oktober 2020 per Rezept verschrieben werden können, nutzbar werden und es wird eine andere Form von Kommunikation stattfinden.
Darüber hinaus wird auch der Alltag von Patient:innen erleichtert, insbesondere für diejenigen, die chronisch krank oder auf (häusliche) Pflege angewiesen sind. Aber auch die Versorgungslücken durch Fachkräftemangel oder in ländlichen Gebieten können so abgemildert werden. Wie eine Versorgung aussehen kann, zeigen zum Beispiel die skandinavischen Länder, die uns viele Jahre Erfahrung voraushaben und die auch in Regionen, die kaum besiedelt sind, eine Gesundheitsversorgung durch Digitalisierung sicherstellen können.
Diese Veränderungen setzten für alle Akteur:innen im Gesundheitssystem erweiterte oder neue Kompetenzen voraus, damit die Instrumente der Digitalisierung sicher genutzt werden können. Für die Hebamme ergeben sich somit neue Herausforderungen:
- Es wird zunehmend digitale Kompetenz der Hebamme gefordert. Das bedeutet, dass die Hebamme die Instrumente der Digitalisierung ebenso wie die Instrumente, die sie für ihre originäre Arbeit benötigt, kennen muss und informiert ist über deren Anwendung.
- Es gibt strukturelle Herausforderungen an Datenschutz, Ausstattung und Räumlichkeiten. Das Verständnis für die Wahrung der Persönlichkeitsrechte wird mit Blick auf die ethischen Anforderungen unserer Arbeit wichtiger und muss in den Grundlagen als Wissen vorhanden sein, um den betreuten Frauen und Familien größtmögliche Datensicherheit garantieren zu können.
- Die Hebamme benötigt fachliche Kompetenz für Kommunikation und Moderationstechniken. Da gerade in der digitalen Kommunikation die nonverbalen Signale nahezu komplett wegfallen, wird es in den Gesprächs- und Beratungssituation noch wichtiger, über Techniken zu verfügen, wie in Gesprächen Beziehung aufgebaut werden kann.
Schon jetzt ist es wichtig, bestimmte Punkte zu beachten:
- Bei der Leistungserbringung per Videotelefonie ist auf eine End-to-End-Verschlüsselung des verwendeten Anbieters zu achten.
- Audio- und Videogespräche dürfen nicht mitgeschnitten werden.
- Die Frauen sind über die Besonderheiten bei der Leistungserbringung per Kommunikationsmedium aufzuklären.
- Ab dem 1. Juli 2022 dürfen Kurse nur noch über zertifizierte Videodienstleister:innen angeboten werden.
Frauenzentriert und professionsübergreifend
Die Digitalisierung des Gesundheitswesens und damit einhergehend die Entwicklung der Telematikinfrastruktur folgt in besonderem Maße den Forderungen der Patient:innenvertretungen. Diese wünschen sich eine transparente Kommunikation zwischen den Akteur:innen, eine bessere sektorenübergreifende Versorgung und vor allem eine aktive Beteiligung an den jeweiligen Prozessen.
Für Hebammen ist eine frauenzentrierte Versorgung schon lange selbstverständlich und mit Hilfe der Digitalisierung können deren Bedürfnisse, aber auch unsere Kompetenzen professionsübergreifend deutlich besser wahrgenommen werden. Im besten Falle lässt sich so die herkömmliche Betreuung ergänzen. Wir haben am Ende durch die langfristige Förderung von Gesundheitskompetenzen einen echten Mehrwert.
Gleichzeitig bietet die Digitalisierung Hebammen die Chance, sich finanziell und organisatorisch zu verbessern, da sie den administrativen Aufwand reduzieren können.
Literatur
DVG/Digitale-Versorgungsgesetz: Bundesanzeiger Verlag 2019. www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&start=//*%5B@attr_id=%27bgbl119s2562.pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl119s2562.pdf%27%5D__1647791432724
Hecker R: Stellungnahme des Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung: Gesetz zum Schutz elektronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur (Patientendaten-Schutz-Gesetz – PDSG). Aktionsbündnis Patientensicherheit 2020. https://www.aps-ev.de/wp-content/uploads/2020/05/200519_SN_PDSG_final.pdf
Schlömann L, Hertle D, Jahn-Zöhrens U, Bauer NH: Digitale Hebammenbetreuung im Kontext der Covid-19-Pandemie. Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie 2021 225(S 01). DOI: 10.1055/s-0041–1739878
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