Leseprobe: DHZ 01/2013
Kräuter rund um die Geburt

Frauenmantel - das Frauenkraut

Viele Namen weisen auf die vielfältigen Eigenschaften und Wirkungen dieses Krautes hin. Auch in der Frauenheilkunde ist der Frauenmantel seit Jahrtausenden beliebt. Von der Steigerung der Fruchtbarkeit, über die Rückbildung bis zur Milchbildung erstreckt sich sein Anwendungsspektrum. Claudia Ritter,

Die Kräuterheilkunde – auch Phytotherapie genannt – ist die älteste Heilkunst. Das Vertrauen in den immensen Wissensschatz der vergangenen Jahrtausende wächst allmählich wieder, nachdem zahlreiche Studien die bis dahin auf Intuition, Erfahrung und Beobachten gewonnenen Erkenntnisse belegen konnten. Heute nutzt man in der westlichen Kräutermedizin etwa tausend vorkommende Pflanzen. Die Liste der sogenannten „Frauenkräuter" umfasst eine unbestimmte Zahl an Pflanzen, die für kosmetische Zwecke und Wohlbefinden, zur Steigerung der sexuellen Lust und Fruchtbarkeit, während Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit, bei Zyklusbeschwerden und in den Jahren des „Wechsels" hilfreich sind. Das „Frauenkraut" mit dem breitesten Anwendungsgebiet ist der Frauenmantel, dessen Heil- und Wirkspektrum nun vorgestellt wird.

 

Viele Namen, viele Bedeutungen

 

Der botanische Name für den Frauenmantel ist Alchemilla vulgaris L. – das Kraut der Alchemisten und der Frauen. Das bescheidene Wiesenkräutlein mit seinen unscheinbaren gelbgrünlichen Blüten gilt in der Volksmedizin und Hebammenkunst als das Frauenkraut schlechthin. Es ist Sinnbild des weiblichen Uterus und hat eine jahrtausendalte Heiltradition. Seine Heilkraft begleitet die Frauen durch alle Phasen des Lebens.

Am frühen Morgen, noch vor Sonnenaufgang bilden sich an den Blatträndern kleine silberne Tropfen. Dies sind keine Tautropfen, sondern Wasserausscheidungen (Guttationen), die von den Wimpernhaaren des Blattrandes über Nacht abgegeben wurden. Dies gab auch Anlass zu vielen Interpretationen.

Einige Anmerkungen zu den vielen Namen und ihren Bedeutungen vorab:

Alchemilla: Gemeint ist damit tatsächlich das Kraut der Alchemisten. Die mittelalterlichen Alchemisten waren derart von dem Guttationswasser (Wasserausscheidungen) angetan, das weder vom Himmel als Regen fällt noch aus der Erde quillt, dass sie mit dem „Himmelswasser" versuchten, nicht nur Elixiere, sondern auch den Stein der Weisen herzustellen.

Sinnau oder Sinntau: Diese altdeutschen Namen setzen sich aus „sin" = beständig, fortwährend und „Au" = Wasser oder Tau zusammen. Die morgendlichen Tautropfen gaben der Pflanze auch Namen wie Regendachl, Regentropfen, Sonnentau, Tauchbecher(l), Taublatt, Tauhalt, Taufänger, Taumantel, Taurose, Tauschüsselchen, Tränenschön, Wasserträger oder Wasserkelchblume.

In der älteren Literatur ist mitunter auch die Bezeichnung Löwenfuß sowie Herba Leontopodii für das Gewächs aus der Pflanzenfamilie der Rosaceae zu finden, da die Blattspreite an den Abdruck einer Löwentatze erinnert.

Und letztlich weisen viele der Volksnamen, wie Allfrauenheil, Frauenhäubl, Frauenhilf, Liebfrauenmantel, Marienkraut, Marienmantel, Milchkraut, Muttergottesmantel, Mutterkraut, Unser lieb Frauen/Frawen Mantel oder Weiberkittel auf die traditionelle Verwendung als Frauenkraut hin. Unsere Vorfahren weihten die Pflanze der nordgermanischen Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit Freya. Der bei abnehmendem Mond gesammelte Frauenmantel wurde ihr in rituellen Zeremonien geopfert, damit sie den Gebärenden beistand. Im Rahmen der Christianisierung übertrug man diese Symbolik auf die Jungfrau Maria.

 

Wund- und Fruchtbarkeitskraut

 

In den alten Kräuterbüchern der Antike und des Mittelalters findet man die Pflanze meist unter dem Namen Sinn(t)au. Pedanios Dioskurides, der berühmte griechische Pharmakologe des ersten nachchristlichen Jahrhunderts, empfahl folgendes Rezept: 15 Tage regelmäßig genommen, soll die Pflanze für eine bessere „Schlüpfrigkeit" der Gebärmutter und damit für eine erhöhte Fruchtbarkeit sorgen. Neben anderen Kräutern wie Christrose, Engelsüß und Haselwurz setzten die Frauen im Mittelalter Alchemilla auch als pflanzliches Verhütungsmittel ein: Vermutlich beobachteten sie die zusammenziehende Wirkung der Gerbstoffe und haben daraus eine verschließende oder verhütende Wirkung angenommen – was aus heutiger Sicht natürlich nicht mehr zeitgemäß ist.

Arzt und Alchemist Paracelsus (1493–1541) kannte die „Tränenhalterin" nur als Knochen- und Wundheilmittel. In den Kräuterbüchern der Renaissance sind neben der Anwendung als Wundkraut auch frauenspezifische Indikationen beschrieben. So schrieb einer der bedeutendsten Botaniker des 16. Jahrhunderts, Jacobus Tabernaemontanus, in seinem „Kreuterbuch": „Sinnausafft etliche Tage des Morgens/jedesmal 2. Loth getruncken/und des Abends auch so viel/dienet wider den weißen Mutterfluß". Und weiter heißt es: „So einem Weibe der Hals der Mutter zu schlüpfferig/erlöchert und zu weit offen stünde/also daß sie nicht empfangen könne/und der Saamen wieder von ihr liefe/der soll Sinnaukraut zu Pulver stossen/und 20 Tag lang alle Morgen 1 Löfflein voll desselbigen mit Wein/oder aber mit einer Brühen warm trincken/das wird sie wieder zu recht bringen".

Der Schweizer Kräuterpfarrer Johann Künzle (1857–1945) schrieb über den Frauenmantel: „Allen gesegneten Müttern ist täglicher Genuß von Frauenmanteltee sehr zu empfehlen, da er selbst unter schwierigen Umständen eine leichte Geburt und ein gesundes Kind bringt".

Keine andere Pflanze verkörpert die Wesensart der Gebärmutter besser als die samtweichen Blätter, die an einen Umhang oder Mantel erinnern und damit Umhüllung und Behütung symbolisieren. Für die Kräuterweiber, Hebammen und Heilkundigen waren die morgendlichen Tautropfen in ihrer Signatur immer eindeutig: Die Pflanze menstruiert. Als klassische Frauenpflanze untersteht sie astrologisch der Venus. Die samtweichen, harmonisch geformten, rundlichen und edel gezähnten Blätter sind Kennzeichen der Venus, die mit ihrer Sinnlichkeit und Gelassenheit vor allem krampflösend auf Körper und Seele wirkt. Das Wesen der Pflanze ist, in allen Lebensphasen der Fruchtbarkeit die Weiblichkeit zu unterstützen und sanft zu regulieren.

Die zähen und faserigen Blätter deuten auf eine kräftigende Eigenschaft hin. Daher wird das Rosengewächs auch bei Erschlaffung und Senkung der Beckenorgane oder zur Förderung der Rückbildung nach der Geburt verwendet.

 

Definition

 

Die Signaturenlehre ist die Lehre von den inneren und äußeren Zeichen in der Natur, die als Merkmale auf Ähnlichkeiten, Verwandtschaften und Zusammenhänge hinweisen, wie Form, Farbe, Charakter, Geruch, Geschmack, Standort, Entstehungszeit, Farben und weitere Aspekte.

 

Botanik der Alchemillen

 

Die Alchemillen sind sehr artenreich und selbst für erfahrene Botaniker ist die Unterscheidung und exakte Bestimmung sehr schwierig. Die mehrjährige, bis zu 50 Zentimeter hohe krautige Alchemilla vulgaris (synonym Alchemilla xanthochlora) gehört zur Familie der Rosengewächse (Rosaceen). Sie wächst vor allem an Wald- und Wegrändern, feuchten Wiesen, Bachufern und bis in die Alpenregion hinauf. In Höhenlagen über 1.000 Meter findet man den verwandten, fingerförmig gefiederten Alpen-Frauenmantel (Alchemilla alpina) oder Alpensinnau. Er hat traditionell ein ähnliches Anwendungsgebiet, hat jedoch von der Kommission E (siehe Kasten „Vorgestellt") wegen unzureichender Datenlage eine Nullmonografie erhalten.

 

Vorgestellt

 

Die Kommission E wurde 1978 vom damaligen Bundesgesundheitsamt als Expertengruppe für pflanzliche Arzneimittel gegründet. Bis 1995 hat sie wissenschaftliche Daten für mehr als 350 Arzneipflanzen ausgewertet. Eine Positiv-Monografie erhalten Heilpflanzen oder Teile von ihnen (wie Wurzeln oder Blüten), die ohne Risiko verwendet werden können und deren Wirkungen als wissenschaftlich erwiesen gelten. Eine Null-Monografie erhalten dagegen solche Pflanzen, die in der traditionellen Volksmedizin zwar als Heilpflanze verwendet werden, deren Wirksamkeit aber nicht belegt ist. Eine Negativ-Monografie erhalten früher medizinisch genutzte Pflanzen, deren gesundheitliche Risiken größer als ihr Nutzen sind.

Der Frauenmantel ist eine winterharte Pflanze und in ganz Europa, Nordamerika und Asien verbreitet. Aus einer grundständigen Rosette wachsen an festen Stängeln die charakteristischen sieben- bis neunlappigen, hübsch gezähnten und weich behaarten Blätter. Typisches Kennzeichen ist die mehr oder weniger gefaltete Spreite. Die jungen Blätter sind gefaltet und weißsilbrig behaart, die Älteren sind nur schwach behaart und zeigen auf der Unterseite eine feinmaschige Nervatur. Die winzigen, gelbgrünen, vierzähligen Blüten stehen in verzweigten Blütenständen in doldigen Rispen und blühen von Mai bis in den August hinein. Die Fortpflanzung geschieht ohne Bestäubung (apomiktisch). Die Samen reifen in den weichen, glatten Kelchbechern aus diploiden Zellen der Mutterpflanze heran.

 

Pharmakologische Inhaltsstoffe

 

Die genaue Zusammensetzung der beliebten Heilpflanze ist noch nicht vollständig erforscht. Pharmakologisch wichtige Inhaltsstoffe sind ein hoher Anteil an Gerbstoffen mit überwiegend Ellagitanninen, etwa zwei Prozent Flavonoiden (Quercetin- und Kämpferolderviate) und je nach Herkunft Di- und Triterpenen, Phytosterinen, Chlorophyll, Salicylsäure und Mineralien wie Eisen, Kalium, Kalzium, Kieselsäure und Magnesium.

Von der Kommission E hat das Frauenmantelkraut (Alchemilla herba) lediglich eine Zulassung bei leichten unspezifischen Durchfallerkrankungen erhalten (BAnz Nr. 173 vom 18.09.1986).

Die traditionelle Anwendung erfasst jedoch ein ganzes Arsenal an frauenspezifischen Beschwerden und begleitet die Frauen in allen Lebensphasen von der Pubertät bis zur Menopause, wie bei unregelmäßiger Menstruation, zu starker oder zu schwacher Monatsblutung. Zur Zyklusregulierung und bei einer Neigung zu Regelkrämpfen ist es sinnvoll, schon eine Woche vor dem erwarteten Blutungseintritt das hormonell regulierende Rosengewächs als Teeaufguss zu trinken.

Durch den Kieselsäuregehalt dienen Frauenmantelzubereitungen beispielsweise in Form eines Tees zur Vorbeugung von Schwangerschaftsstreifen, festigen das Bindegewebe, stärken die Mutterbänder und helfen bei Blasenschwäche nach der Geburt, Gebärmutter- oder Blasensenkung. Im Wochenbett schützt Frauenmanteltee vor dem Kindbettfieber, da er zu einem besseren Wundschluss beiträgt. Zur Milchbildung – daher auch der Volksname Milchkraut – kann Alchemilla herba auch den anderen bewährten Milchbildungspflanzen, wie Fenchelsamen und Brennnessel, beigemischt werden. Durch seinen Gerbstoffgehalt und die damit verbundene adstringierende Wirkung hilft Alchemilla bei starker Menstruationsblutung, Nachblutungen der Geburt oder sonstigen chirurgischen Eingriffen in die Gebärmutter.

Bewährt hat sich die Pflanze auch bei Unfruchtbarkeit, Weißfluss, Eileiter- und Unterleibsentzündungen, Gebärmuttertraumen nach Vergewaltigung oder Schwangerschaftsabbruch und als Sitzbad zur Nachbehandlung der Vaginalflora bei Soorpilzbefall.

 

Pflanzenstoffe

 

Tannine, auch als Gerbstoffe bezeichnet, werden von Pflanzen als Teil ihrer chemischen Abwehr produziert. Die Tanninforschung gewinnt immer größere Bedeutung, da zahlreiche positive Wirkungen nachgewiesen werden konnten. So wurden beispielsweise krebshemmende und antibakterielle Wirkungen von Gerbstoffen gefunden. Auch konnte ein wachstumshemmender Effekt von Tanninen auf das HI-Virus nachgewiesen werden. Anhand ihres chemischen Aufbaus lassen sich Tannine in kondensierte und wasserlösliche Tannine einteilen.

Die Ellagitannine gehören zu den wasserlöslichen Tanninen. Allen Gerbstoffen ist gemein, dass sie die Struktur der Eiweiße verändern. Auf der Haut wirken sie zusammenziehend. Adstringierende Mittel bilden durch Eiweißausfällungen Membrane im Körper. Dadurch kann sich zum Beispiel über Wunden und Schleimhäuten eine Schutzschicht bilden, die entzündungshemmend, desinfizierend, austrocknend und blutstillend wirkt.

Flavonoide sind ein Sammelbegriff von sekundären Pflanzenstoffen, die als Farbstoffe in den Blättern und Randschichten fast aller Obst- und Gemüsearten und vieler Heilpflanzen vorkommen. Sie bieten der Pflanze Schutz vor äußeren schädlichen Einflüssen, daher finden sich die höchsten Konzentrationen in den Blättern. Ihr Wirkspektrum reicht von der Stärkung des Immunsystems über eine Senkung des Blutcholesterinspiegels, Tumorprävention, Entzündungshemmung und antibakteriellen und antiviralen Eigenschaften.

 

Rezepte und Präparate

 

Als arzneilich genutztes Pflanzenteil gilt das gesamt Kraut (Alchemillae herba), also Blätter und Blüten, die man für den Eigenbedarf auch selbst sammeln kann. Das Trocknen sollte schnell an einem geschützten Ort erfolgen, zum Beispiel auf dem Dachboden. Eine Verwechslung mit anderen Pflanzen oder gar Giftpflanzen ist wegen der charakteristischen Blätter unwahrscheinlich.

Aufguss zur inneren Anwendung: Ein bis zwei Gramm zerkleinertes Kraut mit heißem Wasser übergießen, zehn Minuten stehen lassen, abseihen. Zwei bis drei Tassen zwischen den Mahlzeiten trinken, die mittlere Tagesdosis beträgt fünf bis zehn Gramm.

Kaltauszug: Mehrstündiges Stehenlassen bei Raumtemperatur, sonst wie Aufguss. Alternativ: Urtinktur Alchemilla ein bis dreimal täglich zwei bis fünf Tropfen unverdünnt oder in etwas Wasser einnehmen.

Badezusatz zur äußeren Anwendung: 200 Gramm getrocknete Kräuter über Nacht in einer Schüssel mit Wasser ansetzen und am nächsten Tag die abgeseihte Flüssigkeit ins Vollbad geben. Dauer: etwa 25 Minuten bei einer Badetemperatur von etwa 38 Grad Celsius.

Sitzbad/Teilbad: Dabei genügen etwa 100 Gramm getrocknete Kräuter.

Rubrik: Beruf & Praxis | DHZ 01/2013

Literatur

Greiner K.; Weber A.: Magie und Heilkraft der Frauenkräuter. Mosaik Verlag München (1999)

Fischer-Rizzi, S.: Medizin der Erde. Wilhelm Heyne Verlag. München (1999)

Kalbermatten, R.: Wesen und Signatur der Heilpflanzen. AT Verlag (2010)
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