Klagen statt (v)ertragen
Am 24. und 25. September 2015 wurden strittige Themen der Vertragsverhandlungen zwischen dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) und den Hebammenverbänden in einem Schiedsstellenverfahren behandelt. Die anschließenden Veröffentlichungen der Vertragsparteien waren uneinheitlich (siehe DHZ 11/2015, Seite 87ff.), so dass mit Spannung die Veröffentlichung des schriftlichen Beschlusses der Schiedsstelle erwartet wurde. Als strittige Themen waren die Gestaltung des Sicherstellungszuschlages als Ausgleich für die gestiegene Haftpflichtversicherung (siehe DHZ 11/2015, S. 78ff.) und der Ausschlusskriterien als Teil der Qualitätsanforderungen Gegenstand des Schiedsstellenverfahrens.
Bereits direkt nach dem Schiedsverfahren vertrat der GKV-SV die Ansicht, dass die beschlossenen Neuregelungen „ab sofort" gelten würden, während die Hebammenverbände deren Geltung erst nach Veröffentlichung des schriftlichen Beschlusses als gegeben ansahen. Dies ist folgerichtig, da es in den Beschlüssen nicht um die Vergütungshöhe ging, deren fünfprozentige Erhöhung bereits in einem früheren Verfahren beschlossen wurde, und die ohne weiteres auch rückwirkend erfolgen kann. Vielmehr ging es um umfangreiche Anforderungen an die Hebamme, die diese erst umsetzen kann, wenn sie davon genaue Kenntnis hat.
Probleme und Ungereimtheiten
Mit der Veröffentlichung der Beschlüsse ergaben sich zwei Probleme: Zum einen wurden alle Vertragsbestandteile im Schiedsstellenbeschluss neu veröffentlicht, obwohl nur ein Teil davon Gegenstand des Verfahrens war, zum anderen erfolgte die Veröffentlichung zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit unterschiedlichen Texten. Ersteres stand der Schiedsstelle nicht zu, da es möglich gewesen wäre die unstrittigen Vertragsbestandteile unter Berücksichtigung der Beschlüsse ganz normal zu unterzeichnen, letzteres ist Ausdruck von Schlamperei und ungenügender Ausübung des Schiedsamtes.
In der Konsequenz gibt es je nach Verbandszugehörigkeit zum Zeitpunkt der Drucklegung der DHZ Mitte Dezember unterschiedliche Vertragstexte mit unterschiedlichen Interpretationen zum Beginn der Gültigkeit und damit zum Ablauf von Fristen.
Die erste Veröffentlichung des neuen Vertragstextes zur Hebammenvergütung erfolgte am 13. November durch den Deutschen Hebammenverband (DHV) auf Basis des ihm am 12. November zugegangenen schriftlichen Beschlusses. Alle Vertragsbestandteile fanden sich einzeln und als Zip-Datei im Mitgliederbereich der Homepage. Doch darin stehen unfertige Sätze, die Datumsangaben zum Inkrafttreten des Vertrages sind noch mit „xxx" bezeichnet, im Leistungsverzeichnis findet sich unter Paragraf 2 die Formulierung „e bis f fehlen und werden nachgetragen" und als Krönung steht unter § 7: „Die Vertragspartner sind sich darüber einig, dass diese Anlage bis zum 30. September 2015 neu zu vereinbaren ist".
Der Bund freiberuflicher Hebammen (BfHD) gibt in seinem Newsletter mit Versendung am 21. November an, den Beschluss am 16. November erhalten zu haben. Die dazu hinterlegten Dateien auf der Homepage unterscheiden sich jedoch von denen des DHV, und während der DHV alle Vertragsbestandteile als „von der Schiedsstelle festgesetzt" bezeichnet, gibt der BfHD an, dass der alte Vertrag gilt, bis der neue unterzeichnet ist und lediglich die durch die Schiedsstelle getroffenen Beschlüsse dazu ab 16. November 2015 gelten.
Beide Verbände geben an, dass zu einigen Anlagen des Vertrages noch verhandelt wird und dass sie Klage erheben wollen gegen Teile des Beschlusses. Diese wird unter anderem das vom GKV-SV angegebene Datum des Inkrafttretens aller Vertragsbestandteile zum 25. September 2015 betreffen.
Die letzte Veröffentlichung eines Vertragstextes erfolgte zwischen dem 26. und 28. November durch den GKV-SV. Eingebettet in einen nichtssagenden Text fand sich eine große gescannte Datei (89 Seiten), in der alle Vertragsbestandteile am Stück veröffentlicht wurden. Hierin waren im mühsamen Vergleich nun einige Korrekturen und Ergänzungen auszumachen. So gibt es inzwischen die Punkte e bis g in der Vergütungsvereinbarung und zumindest im Vertrag findet sich der 25. September 2015 als Datum des Inkrafttretens anstelle der xxx-Angaben. Gravierende weitere Fehler bestehen jedoch weiterhin, wie beispielsweise im Formular zur Beantragung des Sicherstellungszuschlages.
Was das Ganze am Ende noch auf die Spitze treibt: Die Unterschrift des Vorsitzenden der Schiedsstelle ist erst auf den 20. November 2015 datiert und damit acht Tage, nachdem dem DHV der schriftliche Beschluss zugestellt wurde und auch noch, nachdem der BfHD anscheinend eine Zwischenversion erhalten hat.
Innerhalb von circa zwei Monaten ist es nicht gelungen, den schriftlichen Beschluss so zu verfassen, dass zumindest praktisch notwendige Grundlagen wie das Inkrafttreten korrekt benannt sind. Offensichtliche Mängel wurden klammheimlich eingepflegt, ohne jedoch das Gesamtwerk auch nur ansatzweise auf seine praktische Umsetzbarkeit zu überprüfen. Das ganze Verfahren zeugt von einer beispiellosen Respektlosigkeit des GKV-SV und des Schiedsstellenvorsitzenden Prof. Dr. Heinz-Dietrich Steinmeyer, Rechtswissenschaftler an der Universität Münster, gegenüber den freiberuflichen Hebammen und dem ihm anvertrauten Amt als „Unparteiischer".
Im Wesentlichen gilt der neue Vertrag, trotz der darin enthaltenen Unklarheiten. Sinnvoll ist es daher, ihn aufmerksam in der neuesten verfügbaren Version zu lesen und auf Handlungsbedarf in der eigenen Praxis zu überprüfen.
Inkrafttreten der Vertragsbestandteile
Ab wann die Vertragsänderung gilt, ist grundsätzlich strittig. Von der Schiedsstelle festgelegt wurde die Gültigkeit ab 25. September 2015 für alle Vertragsbestandteile. Abweichend davon wurde eine Gültigkeit des Sicherstellungszuschlages ab 1. Juli 2015 festgelegt. Die Hebammenverbände vertreten die Auffassung, dass Teile des Vertrages erst mit der schriftlichen Bekanntgabe gültig werden. Sollte ein Gericht später dieser Auffassung folgen, so kann es eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass das Datum für alle Hebammen gilt, an dem die letzte Hebammengruppe zumindest theoretisch von der Vertragsänderung Kenntnis hätte erlangen können. Für Hebammen ohne Verbandszugehörigkeit wäre das Ende November mit der Veröffentlichung auf der Homepage des GKV-SV gewesen. Sollte er erst gelten, wenn von allen Vertragsparteien die identische Vertragsversion veröffentlicht wurde, so liegt die Gültigkeit nach dem 8. Dezember 2015. Sollte es nicht zwischenzeitlich noch zumindest für bestimmte Bestandteile des Vertrages wie beispielsweise Formularen zu einer sehr zu begrüßenden gütlichen Einigung mit gemeinsamer Bekanntgabe eines angemessenen Zeitpunktes zum Inkrafttreten geben, kann allen Hebammen nur empfohlen werden, den Rechtsweg zu beschreiten, wenn sich im weiteren Verlauf Nachteile bei der Abrechnung oder dem Erbringen von Nachweisen ergeben.
Alle Vertragsbestandteile sind in Tabelle 1 mit ihrem angenommenen Inkrafttreten und der vorgesehenen Laufzeit dargestellt, soweit dies überhaupt nachvollziehbar ist.
In dreien der nun erstmals veröffentlichten Vertragsbestandteile, findet sich die Angabe „Die Vertragspartner sind sich einig, dass diese Anlage bis zum 30. September 2015 neu zu vereinbaren ist. Sie gilt solange weiter, bis diese vorliegt. Eine Kündigungsfrist wird in der Neufassung vorgesehen." Diese Vertragsbestandteile werden weiter verhandelt. Daher ist damit zu rechnen, dass sie zu einem noch unbekannten Zeitpunkt in veränderter Form durch Vertragsabschluss oder durch Schiedsstellenbeschluss neu veröffentlicht werden. Diese Bestandteile sind in Tabelle 1 orange markiert. Das Vorgehen der Schiedsstelle ist dermaßen absurd, dass den Hebammenverbänden an dieser Stelle kein Vorwurf gemacht werden kann. Skandalös ist auch, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Zeitraum zwischen Verhandlung und schriftlichem Beschluss zu Absprachen zwischen dem Schiedsstellenvorsitzenden und dem GKV-SV gekommen ist, die wesentliche Vertragsinhalte betroffen haben und weder vorher in der mündlichen Verhandlung noch in diesem Zeitraum zwischen den Vertragsparteien zu einem Ergebnis gekommen sein können.
Erfolgte und zu erwartende Änderungen
Als neue Vertragsbestandteile gegenüber dem bis zum 26. September 2015 geltenden Vertrag, gibt es jetzt eine Leistungsbeschreibung (Anlage 1.2), eine Qualitätsvereinbarung (Anlage 3) mit diversen Beiblättern und Anhängen sowie eine Anlage 1.4 zum Haftpflichtausgleich, die den Sicherstellungszuschlag zu den Haftpflichtkosten regelt (siehe Tabelle 1).
Vertragstext
Der eigentliche Vertragstext über die Versorgung mit Hebammenhilfe wurde (im Vergleich mit der zwischen 2007 und 2015 geltenden Fassung) neu gegliedert und ausformuliert. Einige Paragrafen sind nun deutlich umfangreicher, andere beziehen sich auf die neuen Anlagen und deren Einbettung in den Vertrag. Der Absatz zu den Vertragsverstößen und Regressverfahren wurde konkretisiert und erweitert. Es ist erforderlich, den neuen Vertragstext zu lesen und Maßnahmen für die eigene Berufsausübung daraus abzuleiten. In strittigen Teilen ist eine Änderung des Textes durch ein Urteil zum Prozess zwischen DHV/BfHD und GKV-SV zu erwarten.
Bei den rechtlichen Grundlagen der Berufsausübung wurden alle Gesetze benannt, die bei der Tätigkeit als Hebamme zu berücksichtigen sind. Dabei wurden auch Gesetze aufgenommen, die nur zur Anwendung kommen, wenn Angestellte beschäftigt werden. Alle benannten Gesetze mussten auch schon vor der Aufnahme in den Vertrag beachtet werden. Seit Januar 2014 informiert die DHZ in der Reihe „Organisation und Qualität" zu den hebammenrelevanten Anteilen der teilweise sehr umfangreichen Gesetzestexte und zu deren praktischer Umsetzung im Berufsalltag und im QM-System der Hebamme. Eine Übersicht zu den bereits behandelten Themen findet sich in Tabelle 2. Sie stehen mit den benannten Mustern für ein QM-Handbuch im Online-Archiv der DHZ unter www.dhz-online.de.
Leistungsbeschreibung
In der Leistungsbeschreibung (Anlage 1.2 zum Vertrag) wurden die Inhalte der Tätigkeit der Hebamme den einzelnen Positionsnummern des Vergütungsverzeichnisses zugeordnet. Bereits enthalten sind auch Leistungen, die erst zukünftig in das Vergütungsverzeichnis übernommen werden. Dazu zählen die Aufteilung der Vorgespräche entsprechend der überwiegenden Gesprächsinhalte (zukünftig bis zu drei Vorgespräche), sowie die Neuaufnahme des Screenings auf Gestationsdiabetes und der Einzel-Rückbildungsgymnastik. Positiv ist, dass in der Präambel betont wird, dass damit mögliche Leistungsinhalte beschrieben werden, die nicht bei jedem Termin vollständig erbracht werden müssen, sondern sich am individuellen Bedarf der Versicherten orientieren. Anhand der Leistungsbeschreibung kann die Hebamme ihr eigenes Tätigkeitsspektrum daraufhin überprüfen, ob alle Bestandteile enthalten sind, beispielsweise im Kurskonzept. Die vorliegenden Leistungsbeschreibungen können als Grundlage für die eigene Darstellung im QM-Handbuch übernommen werden.
Einführung von Qualitätsmanagement
Mit der Anlage 3 zum Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe liegt nun erstmals eine konkrete Beschreibung der Erwartung an das verbindliche QM-System der Hebamme vor. Sie wurde weitgehend im Einvernehmen zwischen den VertragspartnerInnen erarbeitet, so dass sie im Wesentlichen in dieser Form Bestand haben wird. Eine Ausnahme bilden die Ausschlusskriterien für eine Geburt im häuslichen Umfeld, die auf dem Klagewege angefochten werden.
In einem ersten Schritt gilt es, mit dem Aufbau eines QM-Systems zu beginnen.
Orientiert an den zu erbringenden Nachweisen gemäß Anhang 3b zur Anlage 3 müssen Hebammen, die freiberuflich geburtshilflich tätig oder nicht Mitglied in einem der Berufsverbände sind, innerhalb eines halben Jahres (Planungsphase) den Nachweis erbringen, dass sie mit einem QM-System begonnen haben, indem sie an einer mindestens sechsstündigen Fortbildung teilgenommen haben. Problematisch ist hier der strittige Zeitpunkt des Beginns dieser Frist.
So haben freiberufliche Hebammen ab dem Inkrafttreten des Vertrages sechs Monate Zeit, den Beginn mit der QM-Einführung durch eine sechsstündige Fortbildung nachzuweisen (§1 Abs. 1 Punkt 1 von Anlage 3b. Nachweisverfahren zur Anlage 3 Qualitätsvereinbarung zum Vertrag nach § 134a SGB V). Je nach Inkrafttreten des Vertrages macht es einen erheblichen Unterschied, ob sie diese Fortbildung bis zum 25. März 2016 besuchen müssen oder bis zum 15. Mai 2016 oder bis eine endgültige Fassung veröffentlicht wird. Hebammen, die nicht geburtshilflich tätig und Mitglied in einem der vertragsschließenden Berufsverbände sind, können den Beginn mit der QM-Einführung auch durch eine Einführungsbestätigung des Berufsverbands nachweisen. Diese kann beispielsweise nach dem Download des Musterhandbuches des DHV erworben werden. Nachweise in anderer Form können Hebammen erbringen, die in einer Einrichtung tätig sind, die ihrerseits über ein QM-System verfügt (Geburtshaus, Belegklinik) und Hebammen, die bereits ein QM-System etabliert haben oder während einer Ausbildung Qualitätsmanagement als Lehrinhalt hatten (siehe Anhang 3b).
Der Planungsphase schließt sich die Umsetzungsphase an, in der das eigene QM-Handbuch erstellt wird. Dieses muss die in der Anlage 3 benannten Bestandteile enthalten. Eine mögliche Gliederung des Handbuches ist in Anhang 3a enthalten. Einige oder viele der geforderten Inhalte müssen nur aus den vorhandenen Unterlagen gesammelt werden, andere müssen innerhalb der zwei Jahre neu erstellt werden. Der Auditbogen (Beiblatt 1 von Anhang 3b der Anlage 3) dient nach den zwei Jahren dem Nachweis, dass die Einführungsphase abgeschlossen ist. Für die Planung lässt er sich nutzen, indem er frühzeitig ausgefüllt wird, um festzustellen, was schon vorhanden ist und welche Dokumente noch erstellt werden müssen. Erläuterungen zu den einzelnen Anforderungen werden auf den angebotenen Fortbildungen vermittelt, finden sich in den von den Berufsverbänden angebotenen Materialien oder in der Fachliteratur wie beispielsweise dem Buch „Qualität! QM in der Hebammenarbeit" (Krauspenhaar & Erdmann 2015) sowie in der Reihe „QM in der Freiberuflichkeit" in der DHZ (siehe Tabelle 2). Die Reihe wird auf Grundlage des Vertrages mit weiteren Themen fortgeführt. Neuer Bestandteil des Vertrages ist auch eine Fortbildungsverpflichtung von 40 Stunden innerhalb von drei Jahren.
Ausgleich der Haftpflichtkostensteigerung
Ein wichtiger neuer Bestandteil des Vertrages ist die Anlage 1.4 zum Ausgleich der Haftpflichtkostensteigerung für freiberufliche Hebammen mit Geburtshilfe. Hier wurde der bisherige Ausgleich ersetzt durch ein individuelles Antragsverfahren, in dem ein Teil der Haftpflichtkosten nachträglich erstattet wird (siehe DHZ 11/2015).
Der Wortlaut der Anlage geht zurück auf einen Antrag des GKV-SV, der im Rahmen des Schiedsverfahrens noch geändert wurde. Das Inkrafttreten der Anlage wurde rückwirkend zum 1. Juli 2015 beschlossen. Nachweise zur Beantragung des Sicherstellungszuschlages können erst ab dem Zeitpunkt erworben oder gesammelt werden, ab dem bekannt ist, dass sie erforderlich sind. Rückwirkend zum 1. Juli 2015 kann dies bei (völlig unzureichender) Bekanntgabe Ende November für die Antragstellung im Januar nicht verlangt werden.
Leider ist dieser Vertragsbestandteil auch in seinen sonstigen Inhalten mit Abstand am unzureichendsten formuliert. Es gibt keine Angabe, wann erstmals die Antragstellung erfolgen kann, keine Frist, innerhalb derer der GKV-SV den Antrag entscheiden muss, geschweige denn den zu erstattenden Betrag auszahlen. Und es ist kein Verfahren beschrieben, das darstellt, welcher Weg zu gehen ist, wenn der GKV-SV einen Antrag ablehnt. Besonders ärgerlich ist, dass diese Vertragsanlage unnötig kompliziert formuliert ist und darüber hinaus vermuten lässt, dass jegliches (vorprogrammierte) Missverständnis zu Lasten der Hebamme ausgelegt wird. Zum Beispiel:
§ 1 Geltungsbereich
Die Anlage zum Ausgleich der Haftpflichtkostensteigerung nach § 134a Abs. 1 Satz 3 i. V. m. Abs. 1b SGB V zur Hebammen-Vergütungsvereinbarung (Anlage 1.1) entfaltet Rechtswirkung für alle freiberuflich geburtshilflich tätigen Hebammen im Sinne des Vertrages über die Versorgung mit Hebammenhilfe und seiner Anlagen nach § 134a Abs 1 Satz 1 SGB V, die in der Vertragspartnerliste Hebammen gemäß § 6 und 7 des Vertrages nach § 134a Abs. 1 Satz 1 SGB V mit den aktuellen Kontaktdaten und Institutionskennzeichen mit hinterlegter aktueller Kontoverbindung gelistet sind.
Der erste Teil des Absatzes bedeutet lediglich, dass die Hebamme Vertragspartnerin sein und die dafür vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen muss. Dies ist in anderen Teilen des Vertrages ganz einfach formuliert, hier jedoch nur mit Blättern durch diverse Vertragsbestandteile und Gesetzestexte zu ermitteln. Völlig überflüssig ist der Zusatz zur Aktualität von Kontaktdaten, Institutionskennzeichen (IK) und Kontoverbindung, wenn nicht angegeben wird, auf welchen Zeitpunkt sich die geforderte „Aktualität" bezieht (Leistungserbringung? Beantragungszeitraum? Antragstellung? Auszahlung?).
Bestimmte Fallkonstellationen scheinen nicht bedacht worden zu sein. So müsste zum Zeitpunkt der rückwirkenden Antragstellung eigentlich weder eine Vertragspartnerschaft noch ein Institutionskennzeichen vorliegen, wenn die Hebamme zwischenzeitlich den Beruf aufgegeben hat. Maßgeblich müssten vielmehr unterschiedliche Aktualitätszeitpunkte sein: Vertragspartnerschaft im Zeitraum, für den der Sicherstellungszuschlag beantragt wird, und aktuelle Kontoverbindung zum Zeitpunkt der Auszahlung. Im Formular ist dann immerhin wenigstens die Möglichkeit des IK-Wechsels vorgesehen (mit Angabe von/bis). Ähnliche Ungereimtheiten ziehen sich durch den gesamten Text. So steht in § 4 Absatz 2:
„Das Formular der Hebamme weist neben den Kontaktdaten, das IK aus, über das die geburtshilflichen Leistungen der Hebamme für den Leistungszeitraum abgerechnet wurden. Eine Abrechnung der geburtshilflichen Leistungen über ein anderes IK ist nicht zulässig. Die Regelungen des § 11 Abs. 4 des Vertrages nach § 134a SGB V über die Verwendung eines IK einer Hebammeninstitution finden insoweit keine Anwendung."
Was bedeutet das nun für Beleghebammen und Hebammen in Geburtshäusern, die im Poolsystem über ein gemeinsames IK abrechnen? Hier kann es sowohl Leistungen geben, die über ein einzelnes IK abgerechnete wurden, als auch Leistungen, die mit gemeinsamem IK erbracht wurden: zum Beispiel bei Geburtshäusern, die Leistungen im Geburtshaus im Pool abrechnen und zusätzlich Hausgeburten anbieten, die von jeder Hebamme über ihr persönliches IK abgerechnet werden.
Vielleicht war ursprünglich vorgesehen, dass größere Hebammengemeinschaften, die ja in der Regel viele Geburten betreuen, den Sicherstellungszuschlag nicht gemeinsam beantragen können, der durch den Gesetzestext nur für Hebammen mit wenigen Geburten gedacht ist. In diesem Fall hätte es jedoch die Abschaffung des Zuschlages auf jede Leistung (und damit die Vergütungskürzung für geburtshilfliche Leistungen) nicht geben dürfen.
Mit der Neuregelung haben alle geburtshilflich tätigen Hebammen Anspruch auf den Sicherstellungszuschlag, auch wenn sie viele geburtshilfliche Leistungen erbringen. Folglich müssen auch Teams, die im Pool über ein gemeinsames IK abrechnen, oder die einzelnen Teammitglieder den Sicherstellungszuschlag beantragen können.
Vier Abrechnungszeiträume
Das Formular zur Beantragung des Sicherstellungszuschlages entspricht nicht dem Text der Anlage 1.4 zum Ausgleich der Haftpflichtkostensteigerung. So werden im Text vier Abrechnungszeiträume benannt. Im Formular können jedoch sechs angekreuzt werden (außer im vom BfHD veröffentlichten Formular, dort sind es vier). In allen Versionen wird ein Nachweis „nach Anhang 1" gefordert, aber im gesamten Vertragswerk, das vor Anlagen, Beiblättern und Formular genannten Anhängseln strotzt, gibt es die Bezeichnung „Anhang 1" nirgends. Unklar ist auch, in welcher Form die geburtshilflichen Leistungen nachgewiesen werden müssen. Im Prinzip würde es ausreichen, je Leistungszeitraum eine Leistung mit Datum und Krankenkasse anzugeben. Es wäre dann Sache der Krankenkassen zu überprüfen, ob eine entsprechende Leistung abgerechnet wurde. Möglich wäre auch, eine Versichertenbestätigung mit entsprechender Leistung einzureichen. Es ist davon abzuraten etwas einzureichen, was gegen die Datenschutzbestimmungen verstoßen könnte.
Weiterhin ist nicht klar ersichtlich, welche Nachweise tatsächlich eingesandt werden und welche nur bei der Hebamme vorhanden sein müssen. Im Text der Anlage (nicht jedoch im Formular) sind umfangreiche Dokumente, wie die allgemeinen und besonderen Bedingungen der Haftpflichtversicherung benannt, sowie die besonderen Bedingungen der privaten Haftpflichtversicherung (die die Krankenkassen nichts angehen, mit Ausnahme des Betrages, der dafür abgezogen werden kann). Für die Gruppenhaftpflicht des DHV umfasst diese Forderung circa 60 Seiten. Diese (für alle Hebammen in der Gruppenhaftpflicht gleichen Unterlagen) von jeder einzelnen Hebamme zugesandt bekommen zu wollen, mutet nach Schikane an.
Was die Qualitätsnachweise gemäß § 5 der Anlage betrifft, so wäre die „Planungsphase" bei Inkrafttreten der Anlage zum 1. Juli 2015 im Januar bereits abgelaufen, es müsste also die Einführung von QM (für die meisten Hebammen durch eine sechsstündige Fortbildung) bereits nachgewiesen werden, was zwischen Bekanntgabe Ende November und Anfang Januar für geburtshilflich tätige Hebammen kaum zu erfüllen sein dürfte. Eine Frechheit ist, dass hier über den Schiedsstellenbeschluss eine Stichprobenprüfung der QM-Nachweise bei 20 Prozent der geburtshilflich tätigen Hebammen durchgedrückt wurde. Diese erweitert ganz erheblich die für alle geltende Prüfung bei fünf Prozent der Hebammen, höchstens jedoch alle fünf Jahre (§ 3, Absatz 1 von Anhang 3b zur Anlage 3).
Eine Frist, innerhalb derer die Krankenkassen den Antrag bearbeiten oder den Sicherstellungszuschlag auszahlen müssen, sucht man vergeblich. Fristen gibt es nur für die Hebammen. Deren Antrag wird abgelehnt, wenn sie unvollständige oder falsche Nachweise einreichen und diese nicht innerhalb von vier Wochen nachliefern. Die Anlage 1.4 kann zum 30. Juni 2016 bereits wieder gekündigt werden, so dass unklar ist, ob darüber erst per Gerichtsurteil entschieden wird oder schon vorher eine verbesserte Version zur Verfügung stehen wird.
Antragstellung zum Sicherstellungszuschlag
Alle Hebammen, die zwischen dem 1. Juli und dem 31. Dezember 2015 geburtshilfliche Leistungen erbracht haben, können ab dem 1. Januar 2016 theoretisch den Antrag auf Gewährung des Sicherstellungszuschlages stellen. Gemäß der Festsetzung der Schiedsstelle müsste das Formular mit den darin geforderten Nachweisen (Bestätigung der Versicherung über den Versicherungszeitraum und den gezahlten Betrag sowie einen nicht näher definierten Nachweis einer geburtshilflichen Leistung im Quartal) für die Antragstellung genügen. Der Spitzenverband der Krankenversicherungen (GKV-SV) versucht inzwischen, über Nachbesserungen zum Formular und durch in Eigenregie erdachte Umsetzungsbestimmungen, die von ihm lückenhaft erdachte Anlage zum Haftpflichtausgleich umzusetzen. Das vom GKV-SV neu veröffentlichte Formular mit angeblich „redaktionellen Anpassungen" und „Ausfüllhinweisen" lässt mit Stand zur Drucklegung der DHZ (21. Dezember) erwarten, dass die Antragstellung zu einer ausufernden „Never ending story" mutiert, wenn die Hebamme nicht bereit ist, sich den zum Teil frei erfundenen zusätzlichen Anforderungen an die Nachweiserbringung zu unterwerfen.
So wird inzwischen eine zum Teil geschwärzte Rechnung zum Nachweis der Leistungserbringung gefordert, nebst teilweise geschwärzter Kontoauszüge der Hebamme, die die Zahlung der Rechnung der Leistungen der Hebamme durch die Krankenkasse belegen. Diese Forderung lässt sich mit der ohnehin schon unzumutbaren Formulierung der von der Schiedsstelle festgesetzten Anlage zum Haftpflichtausgleich nicht begründen. Das geänderte – und damit nicht dem Schiedsspruch entsprechende – Formular und Erläuterungen zu den Nachweisen, die der GKV-SV mit der Antragstellung erwartet (die teilweise ebenfalls aus dem Schiedsspruch nicht herleitbar sind), finden sich auf der Homepage des GKV-SV unter https://www.gkv-spitzenverband.de/krankenversicherung/ambulante_leistungen/hebammen/sicherstellungszuschlag/sicherstellungszuschlag.jsp.
Die Einschätzung des DHV zu dem Vorgang und Empfehlungen zur Antragstellung finden sich unter: https://www.hebammenverband.de/aktuell/nachricht-detail/datum/2015/12/18/artikel/veraendertes-antragsformular-zum-sicherstellungszuschlag-vom-gkv-sv-veroeffentlicht/
Ausblick
Vom Gesetzgeber wurden in der Neufassung des § 134a SGB V die Vereinbarung „geeigneter verwaltungsunaufwendiger Verfahren zum Nachweis der Erfüllung" der Qualitätsanforderungen von den Vertragsparteien gefordert. Außerdem sollten bei der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen der Hebammen insbesondere die Kostensteigerungen beachtet werden, die die Berufsausübung betreffen. Und der Sicherstellungszuschlag sollte dafür sorgen, dass auch die wirtschaftlichen Interessen der Hebammen mit wenigen Geburten berücksichtigt werden. Verwaltungsunaufwändigkeit ist alleine dadurch nicht gegeben, dass es an Klarheit in der Definition der Vorgaben mangelt. Derzeit ist eine wirtschaftliche Kalkulation überhaupt nicht möglich, da ungewiss ist, wann und wie Urteile und einvernehmliche Vertragsänderungen sich darauf auswirken werden. „Planungssicherheit" sieht anders aus.
Unter den gegebenen Bedingungen können Hebammen den Antrag zum Sicherstellungszuschlag ab sofort stellen und mit der QM-Einführung bis Mai 2016 beginnen. Der nächste wichtige Zeitpunkt liegt für die Beantragung des Sicherstellungszuschlages im Juli 2016 (wahrscheinlich mit veränderten Bedingungen) und für den Nachweis des Abschlusses der QM-Einführung Mitte 2018. In der Zwischenzeit ist noch mit vielen Änderungen, Urteilen und Veröffentlichungen zu rechnen, die auch einfach erstmal abgewartet werden können.
Empfehlungen für die Beantragung des Sicherstellungszuschlages
Vor der Antragstellung: Lesen der aktuellen Meldungen des GKV-SV und der Hebammenverbände, Sammeln und Kopieren aller Nachweise
Antragstellung: Entscheidung für eine Vorgehensweise, Aufbewahrung der Kopien aller versendeten Dateien, Versendung per Einschreiben (da keine Empfangsbestätigung versandt wird)
Bei berechtigter Beanstandung des Antrages: Überprüfung auf eigene, leicht behebbare Fehler (Zahlendreher im IK oder eine vergessene Angabe im Formular), Nachlieferung per Einschreiben (zum Nachweis der Fristwahrung) innerhalb von vier Wochen
Bei unberechtigter Beanstandung oder Ablehnung des Antrages: Einschaltung des Berufsverbandes/eines Anwaltes, schriftliche Beschwerde/Widerspruch (auch wenn dies in der Anlage zum Haftpflichtausgleich nicht vorgesehen ist)
Hinweis
Der Deutsche Hebammenverband (DHV) hat gegen den Schiedsspruch Klage vor dem Berliner Sozialgericht eingereicht und in einer Pressemeldung vom 14. Dezember 2015 die Gründe dargelegt.
Literatur
BfHD: Newsletter vom 21.11.2015, FAQ zum Schiedsstellenbeschluss, http://www.netzwerk-geburtshaeuser.de/wp-content/uploads/2014/05/BfHD-Newsticker-21-November-2015.pdf
(letzter Zugriff: 2.12.2015) (2015)
DHV: Sondernewsletter 17/2015 vom 13.11.2015 (2015)
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