Leseprobe: DHZ 06/2015

Kohlenhydrate für Diabetikerinnen

Kohlenhydrate und kohlenhydratreiche Lebensmittel verdienen auf dem Speiseplan von Diabetikerinnen besondere Beachtung. Besonders wichtig sind eine gute Qualität und die gleichmäßige Verteilung der Kohlenhydrate über den Tag. Schwangere Diabetikerinnen brauchen eine gute Ernährungsberatung. Maren Krüger,

Die Ernährung ist ein wichtiger Bestandteil in Therapie und Prävention von Diabetes mellitus. Unter den Nährstoffen spielen die Kohlenhydrate für DiabetikerInnen eine entscheidende Rolle, denn nur sie erhöhen den Blutzucker. Lange Zeit stand vor allem die Menge der zu empfehlenden Kohlenhydrate im Fokus. Nun zeigen immer mehr wissenschaftliche Studien, dass es sich lohnt, wie bei den Nahrungsfetten auch bei den Kohlenhydraten auf die Qualität zu achten. „Qualität ist relevanter als Quantität", heißt die Botschaft (Buyken 2012).

 

Das "Glyx-Prinzip"

 

Kohlenhydrate gehen je nach ihrer Einbindung in den Nahrungsmitteln mit unterschiedlicher Geschwindigkeit ins Blut über. Der Gehalt an Ballaststoffen, Fett, Protein, Säure und Zucker, Art und Quellzustand der Stärke sowie der Verarbeitungsgrad des Lebensmittels oder der Mahlzeit spielen dabei eine Rolle. Der glykämische Index (GI), umgangssprachlich auch „Glyx" oder „Glyx-Faktor" genannt, beschreibt die Blutzucker- und damit Insulinreaktion nach der Aufnahme von Kohlenhydraten. Er ist ein Maß für die ernährungsphysiologische Qualität von Kohlenhydraten. Je höher der glykämische Index eines Lebensmittels, desto höher und schneller steigt nach der Mahlzeit die Blutglucose und desto mehr Insulin wird ausgeschüttet. Kohlenhydrate mit einem hohen „Glyx" schießen ins Blut, Kohlenhydrate mit einem niedrigen „Glyx" tröpfeln ins Blut (Brand-Miller 1999; DGE 2013).
Noch bietet die aktuelle Datenlage keine harte Evidenz und die einschlägigen Fachgesellschaften geben keine eindeutigen Empfehlungen zur Berücksichtigung des GI in der Therapie von DiabetikerInnen. Aber es gibt immer mehr (Beobachtungs-)Studien, die einen Zusammenhang zwischen einem hohen GI in der Ernährung und dem steigenden Risiko für das Auftreten bestimmter ernährungsabhängiger Erkrankungen beschreiben. Dazu gehören Diabetes mellitus Typ 2, Gestationsdiabetes (GDM), Übergewicht und Adipositas, kardiovaskuläre Erkrankungen oder auch bestimmte Krebserkrankungen (Buyken 2012; DGE 2004). Bei PrädiabetikerInnen mit Übergewicht oder Adipositas in Verbindung mit einer meist unentdeckten Insulinresistenz könnte ein niedriger glykämischer Index in der Ernährung das Risiko für die Entwicklung eines Typ 2-Diabetes verringern (Buyken et al. 2010).

 

Kohlenhydrate, GI und Blutzuckerwerte

 

Kohlenhydrate stellen in der Schwangerschaft die wichtigste Energiequelle für den Fötus dar. Ohne Kohlenhydrate kein Wachstum. Während der Schwangerschaft unterliegen Glucosestoffwechsel und Plasmainsulinspiegel starken Schwankungen. Die als Gegenspieler zum Insulin wirkenden Schwangerschaftshormone führen insbesondere ab der 20. Schwangerschaftswoche bei allen Frauen zu einem ansteigenden Glucosespiegel im Blut. Bei gesunden Frauen reagiert die Bauchspeicheldrüse darauf automatisch, indem sie die Insulinproduktion um ein Mehrfaches hochfährt. Bei Frauen mit Gestationsdiabetes ist die Bauchspeicheldrüse nicht in der Lage, die für die Absenkung des Blutzuckerwertes ausreichende Insulinmenge zu produzieren. In der Folge kommt es zu erhöhten Glucosespiegeln bei Mutter und Kind, insbesondere direkt nach den Mahlzeiten. Im Körper herrscht ein Glucoseüberangebot. Der Organismus des Kindes reagiert auf diese „Zuckerschwemme" mit erhöhter Insulinproduktion. Dies wiederum führt zu übermäßig schnellem Wachstum und rascher Gewichtszunahme mit vermehrter Fetteinlagerung. Kinder von Frauen mit Gestationsdiabetes haben häufig ein erhöhtes Geburtsgewicht (>90. Perzentile), sowie ein deutlich erhöhtes Risiko für Übergewicht, Adipositas, Diabetes mellitus und andere Stoffwechselstörungen im späteren Leben.

Die meisten Gestationsdiabetikerinnen schaffen es, mit einer Lebensstiländerung den Blutzuckerwert in gesunden Grenzen zu halten: Sie essen anders und bewegen sich regelmäßig. Nur circa 20 Prozent der Patientinnen benötigen Insulin. Eine der wichtigsten Empfehlungen in der Ernährungsberatung von Gestationsdiabetikerinnen ist, die Kohlenhydrate gleichmäßig auf für bis sechs Mahlzeiten zu verteilen, die Menge auf 40 bis maximal 45 Prozent der täglichen Energiezufuhr zu begrenzen (Gestationsdiabetes mellitus, Evidenzbasierte Leitlinie 2011), sowie solche mit einem niedrigen GI zu bevorzugen.

Australische Studien haben gezeigt, dass Schwangere, die bei der Auswahl der Lebensmittel auf einen niedrigen GI geachtet haben, seltener an Schwangerschaftsdiabetes erkrankten. Bei GDM mussten sie seltener mit Insulin behandelt werden und das Geburtsgewicht der Kinder sowie der Anteil an Körperfett waren signifikant geringer, verglichen mit Kindern von Müttern, die eine herkömmliche Diät eingehalten hatten. Führten die Mütter die Diät auch nach der Schwangerschaft fort, konnten sie das Risiko für ein erneutes Auftreten von Gestationsdiabetes in einer folgenden Schwangerschaft verringern (Brand-Miller 2012). Zudem hilft ein niedriger GI in den Mahlzeiten, Heißhungerattacken zu vermeiden.

Auch wenn es noch weiterer Forschung bedarf, zeigen nach aktueller Datenlage zahlreiche Hinweise, dass es sinnvoll ist, Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes auf die besondere Bedeutung des glykämischen Index hinzuweisen und ihnen praktische Ratschläge für die täglichen Mahlzeiten zu geben. Ein Speiseplan mit niedrigem GI hat keinerlei gesundheitliche Nachteile oder Risiken, ist schmackhaft und für die ganze Familie umsetzbar. Eigene Erfahrungen zeigen, dass es in der praktischen Ernährungsberatung von GDM-Patientinnen deutliche qualitative und quantiative Unterschiede und noch viel Verbesserungspotenzial gibt.

 

Der glykämische Index in der Beratung

 

Die Beachtung des glykämischen Index ist im Alltag leicht durchführbar und in der Ernährungsberatung gut zu vermitteln. Ein glykämischer Index von 70 gilt als hoch, zwischen 55 und 70 als mittel und unter 55 als niedrig. Inzwischen wurde für sehr viele kohlenhydrathaltige Lebensmittel der GI definiert und in Tabellen veröffentlicht (Atkinson et al. 2008; Mangiameli 2008). Es ist jedoch nicht erforderlich, den GI einzelner Lebensmittel zu kennen oder gar eine Tabelle als Einkaufsbegleiter zu nutzen. Hilfreich und ausreichend sind bereits folgende Empfehlungen (Buyken 2012):

  • Pro Mahlzeit jeweils mindestens ein Lebensmittel mit niedrigem GI
  • Lebensmittel mit hohem GI gezielt durch solche mit niedrigem GI aus derselben Lebensmittelgruppe austauschen (siehe Tabelle)

 

Alternativen zum Zucker

 

Das Zuckerverbot für DiabetikerInnen ist längst aufgehoben. Sie können Zucker und mit Zucker oder Honig gesüßte Lebensmittel genießen, wie Kuchen, Getränke, Süßspeisen und Naschereien in kleinen Mengen. Die Empfehlung lautet: Süßes sowie auch zuckerreiches Obst nicht zwischen, sondern nach den Hauptmahlzeiten. Die in der Mahlzeit enthaltenen Fette, Proteine und Ballaststoffe verlangsamen den Blutzuckeranstieg. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, am Tag maximal zehn Prozent der Energiemenge in Form von zugesetztem Zucker aufzunehmen. Bei einer erwachsenen Frau mit einem Bedarf von durchschnittlich etwa 2.000 Kalorien am Tag entspricht dies 50 Gramm Zucker am Tag.

Immer mehr Nahrungsmittel- und Getränkeproduzenten verringern die Menge des zugesetzten Zuckers. Um den Verbrauchererwartungen an das Produkt gerecht zu werden, ersetzen sie die „weiße Süße" durch Süßstoffe wie Aspartam oder Stevia, Zuckeraustauschstoffe wie Xylit, Fructosesirup, Dicksäfte aus Äpfeln, Agaven oder Birnen. Doch sind die oft als „natürliche Zuckeralternative" beschriebenen Süßungsmittel echte Alternativen?

 

Stevia

 

Dieser pflanzliche Süßstoff ist in der EU seit 2011 als Lebensmittelzusatzstoff mit der Nummer E960 zugelassen. Stevia beeinflusst nicht den BlutGlucosespiegel und hat keine Kalorien. Dennoch warnt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) vor ungezügeltem Genuss. Die Langzeitwirkung dieser Süßstoffe ist noch nicht genügend erforscht. Als unbedenklich gelten vier Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag.

 

Dicksäfte

 

Agavendicksaft oder andere durch Eindicken von Früchten hergestellte Zuckeralternativen enthalten im Gegensatz zu Zucker eine geringe Menge an Mineralstoffen, Vitaminen, Spurenelementen und sekundären Pflanzenstoffen. Der enthaltene Zucker wird etwas langsamer resorbiert, was sich positiv auf den Blutglucose- und Insulinspiegel auswirkt. Als nachteilig zu bewerten ist der hohe Gehalt an Fruktose.

 

Fructose/Fructosesirup/Fructose-Glucosesirup

 

Dieses Süßungsmittel wird in hoch konzentrierter Form in der Lebensmittelindustrie immer häufiger verwendet, oft zusammen mit anderen Süßungsmitteln. Fruchtzucker besitzt eine 10 bis 20 Prozent höhere Süßkraft als Haushaltszucker (Saccharose) und hat nur eine geringe Blutzuckerwirkung. Ein übermäßiger Genuss kann zu Störungen im Stoffwechsel führen. Der bei uns hohe Konsum von mit Fructose gesüßten Lebensmitteln und Getränken wird nicht nur für die Entstehung von Störungen im Magen-Darm-Trakt, sondern auch von viszeraler Adipositas, Insulinresistenz, Fettstoffwechselstörungen, nicht alkoholischer Fettlebererkrankung und Diabetes mellitus verantwortlich gemacht. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass hohe Mengen an Fructose den Harnsäurespiegel und damit das Gichtrisiko erhöhen. Hohe Bedeutung wird hierbei vor allem dem zunehmendem Genuss von Softdrinks beigemessen (Stanhope et al. 2009). Die EFSA sowie das Bundesinstitut für Risikobewertung warnen seit längerem vor diesem Süßungsmittel.

 

Synthetische Süßstoffe

 

Häufig verwendete Süßstoffe sind Aspartam, Acesulfam K, Cyclamat oder Thaumatin. Ihre Vorteile: Sie haben keine oder wenige Kalorien, wirken nicht kariogen und werden insulinunabhängig verwertet. Viele Lebensmittel enthalten gleichzeitig verschiedene Süßstoffe oder Kombinationen von Süßstoffen und Fructose. Informationen dazu liefert jeweils die Zutatenliste, die auf allen verpackten Lebensmitteln zu finden ist. Alle in der EU zugelassenen Süßstoffe gelten als nicht krebserregend. Die immer wieder angeführte Behauptung, Süßstoffe seien „Dickmacher", weil sie eine Insulinsekretion induzieren und somit das Hungergefühl verstärken würden, konnte bisher nicht eindeutig belegt werden. Ein maßvoller Gebrauch von Süßstoffen schadet nicht und erhöht auch nicht das Risiko für Typ 2-Diabetes, so die Empfehlung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG 2014). Zur Vorbeugung eines Gewichtsanstiegs können sie durchaus geeignet sein. Allerdings stehen Süßstoffe nach einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung in Verdacht, die Darmflora zu stören und eine Glucoseintoleranz hervorzurufen. Weitere Studien müssen zeigen, ob diese bisher nur im Tierversuch aufgetretenen Befunde auf den Menschen übertragen werden können (Suez et al. 2014).

Rubrik: Beruf & Praxis | DHZ 06/2015

Buchtipp

Krüger, Maren: Genussvoll leben mit Schwangerschaftsdiabetes. 60 Rezepte mit Angaben zu Kalorien, Eiweiß, Fett, Kohlenhydraten, BEs und KEs. Umschau-Verlag (2013) 144 Seiten, Best.-Nr.: 1941-0 (www.hebamedia.de)

Literatur

Atkinson, F.S.; Foster-Powell, K.; Brand-Miller, J.C.: International tables of glycemic index and glycemic load values. Diabetes care. 31: 2281–2283 (2008)

Brand-Miller, J.C.; Foster-Powell, K.; Nutr, M.: Diets with a low glycemic index – from theory to practice. Nutrition today. 34: 64–72 (1999)

Brand-Miller, J.C.; Marsh, K.; Moses, R.: The bump to baby diet low GI eating plan. Hachette Australia and New Zealand (2012)
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