Unnötige Untersuchungen – unklare Befunde

  • Dr. Angelica Ensel, Hebamme, Ethnologin und Redakteurin der DHZ: »Der Fülle der angebotenen Untersuchungen und Screenings steht ein Mangel an Beratung und Austausch gegenüber.«

  • »Von Vielem zu viel, von Wichtigem zu wenig« – so heißt ein Positionspapier der Fachgruppe Hebammen im Arbeitskreis Frauengesundheit (AKF) von 2016: Es geht um Versorgungsprobleme während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett und ihre Folgen für die Frauengesundheit in Deutschland. Im selben Jahr hat eine wegweisende Serie in Lancet die weltweite Problematik der Über- und Unterversorgung rund um die mütterliche Gesundheit beschrieben.

    Dass eine nicht adäquate Versorgung gerade die deutsche Schwangerenvorsorge betrifft, zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2015: Bei uns werden deutlich mehr Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch genommen, als laut Mutterpass vorgesehen – und zwar unabhängig davon, ob eine Risikoschwangerschaft vorliegt. Das ist nicht nur unwirtschaftlich und Ressourcen verschwendend, sondern auch schädlich. Denn unnötige Untersuchungen und unklare Befunde sind emotional belastend. Sie führen, so die Studie, zu einem »defizitären, gleichsam pathologischen Blick auf die Schwangerschaft«.

    Nicht nur eine inadäquate unwirtschaftliche Versorgung und potenziell schadende Maßnahmen, kennzeichnen die Diskussionen um Schwangerenvorsorge und Screenings. Es geht hier auch um ethisch brisante Aspekte. Diese betreffen insbesondere die vorgeburtliche Diagnostik mit einer Bandbreite an IGe-Leistungen. Immer früher sind werdende Eltern hier mit Entscheidungen konfrontiert, die schwerwiegende Folgen haben können – Entscheidungen, die auch gesellschaftlich von großer Relevanz sind. Die derzeitige Diskussion über die Frage, ob nicht invasive Bluttests als Screening in der Frühschwangerschaft eine Kassenleistung werden sollen, ist deshalb zu begrüßen und es ist zu hoffen, dass diese Debatte sehr breit geführt wird.

    Was schwangere Frauen tatsächlich brauchen, ist eine evidenzbasierte Versorgung, die die besonderen Bedürfnisse des körperlichen, psychischen und sozialen Übergangs in die Mutterschaft einbezieht. Der Fülle der angebotenen Untersuchungen und Screenings steht ein Mangel an Beratung und Austausch gegenüber. Deshalb wird es Zeit für neue Modelle der Begleitung, die den Frauen die Definitionsmacht geben, ihnen Kompetenz und Vertrauen in ihren Körper vermitteln, sie darin stärken, informierte Entscheidungen zu treffen und die Verantwortung dafür zu übernehmen. Ein Beispiel dafür ist die Schwangerenvorsorge in der Gruppe, die Prof. Dr. Christiane Schwarz in diesem Heft vorstellt.

    Wissenschaftliche Ergebnisse aus Disziplinen wie der pränatalen Psychologie, der Neurobiologie und der fetalen Programmierung weisen eindrucksvoll darauf hin, dass in der Schwangerschaft entscheidende Weichen gestellt werden: Wie die Frauen versorgt und begleitet werden, ist von großer Bedeutung für die Gesundheit von Müttern und Kindern. Die Begleitenden tragen große Verantwortung. Denn Schwangerenvorsorge ist eine grundlegende Arbeit, die die Gesellschaft prägt.

    Angelica Ensel