Verbunden und mobil

  • Katja Baumgarten, Hebamme, Filmemacherin und Redakteurin der DHZ: »Mich hat bei der Fotografie von John, dem Enkel von John Langdon-Down, die Sicherheit und Kompetenz des Jungen angezogen, die durch den liebevollen Blick des Fotografen im Bild verewigt ist.«

  • Der Junge auf dem Titel heißt John, benannt nach seinem Großvater John Langdon-Down, dem Namenspatron des Down-Syndroms. Dessen Lebensweg schildert Katja Weiske eindrucksvoll: Er war der erste Sozialmediziner, der sich gemeinsam mit seiner Frau innovativen Konzepten zur Förderung von Menschen mit intellektueller Behinderung widmete. Als ich das Bild seines Enkels sah, war ich gleich angezogen davon – von der Schönheit der Fotografie und der liebevollen Haltung des Fotografen, der die Sicherheit und Kompetenz des Jungen im Bild verewigt. Vor allem fällt auf, wie unternehmungslustig und selbstbewusst John auf dem imposanten Gefährt mit den drei großen Rädern sitzt. Erst auf den zweiten Blick und nebenher mag man bemerken, dass er mit dem Down-Syndrom lebt. Er strahlt Frohsinn aus, das Bild erzählt von Mobilität. John wurde 1905 geboren, neun Jahre nach dem Tod seines Großvaters. Ein Glück, dass er in diese Familie hineingeboren wurde, die das Lebenswerk von John Langdon-Down und seiner Frau fortsetzte. Die Fotografie scheint ein Zeugnis gelungener Integration vor mehr als 100 Jahren zu sein.

    Ich habe nur wenige Menschen mit Down-Syndrom persönlich näher kennengelernt: Im Alltag, in Kindergarten, Schule oder Nachbarschaft kamen sie nicht vor. Während meiner Hebammenausbildung Ende der 1970er/Anfang der 80er sprach unsere Lehrhebamme von Kindern mit Trisomie 21 meist als »Mongölchen«, obwohl die WHO den Begriff »Mongolismus« schon 1965 nach einem Antrag der Mongolei verbannte. Die defizitorientieren Fotos in meinen Lehrbüchern konnten weder menschliches Mitgefühl noch Nähe wecken. In der Hebammenschule habe ich mit 20 Jahren völlig unvorbereitet und ohne Unterstützung durch eine erfahrene Hebamme in Eins-zu-eins-»Betreuung« einer 15 Jahre älteren Frau bei ihrem späten Schwangerschaftsabbruch Beistand geleistet – nach der Diagnose Trisomie 21. Wir sprachen viel miteinander in den langen Stunden. Ich spürte ihre Ambivalenz, sich von ihrem Wunschkind zu trennen. Vor allem aus Sorge, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Die Geburt selbst fiel nicht in meine Schicht. Sie schenkte mir später das Buch »Der kleine Prinz«.

    Während ich dieses Vorwort schreibe, sendet mir zufällig meine Wiener Hebammenfreundin Renate Mitterhuber ein Video vom 50. Geburtstag ihrer Schwester Uli. Ein Schwenk in die Runde um den großen Tisch, Uli freut sich über das Geburtstagsständchen der Gäste, die mit ihr feiern. Auch Uli lebt mit Down-Syndrom. Von ihr und Renate habe ich gelernt, wie die Obhut in der Familie im Erwachsenenalter weitergehen kann. Renate, die schon immer viel mit ihrer Schwester zusammen war, hat seit ihrem Ruhestand deren Fürsorge übernommen. Die beiden leben die Hälfte des Monats miteinander im vertrauten Elternhaus in Oberösterreich und in Renates Wohnung in Wien, die andere Hälfte lebt Uli in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung. »Es taugt ihr dort sehr«, schildert Renate. Die Balance aus Verbundenheit und Unabhängigkeit scheint gut austariert.