Der NIPT wird Kassenleistung, Teil 2

»Diese Versicherteninformation erfüllt ihren Zweck nicht!«

Im Herbst vergangenen Jahres beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss der ÄrztInnen und Krankenkassen (G-BA), den nicht-invasiven Pränataltest zur Kassenleistung zu machen (siehe auch DHZ 7/2020, Seite 81ff.). Voraussichtlich im Herbst soll der Beschluss in Kraft treten. Parallel hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) eine Versicherteninformation allgemein zu Pränataldiagnostik und speziell zum nicht-invasiven Pränataltest erstellt. Das IQWiG muss sich mit Einwänden und Verbesserungsvorschlägen befassen und lädt Ende August zu einer Anhörung ein. Claudia Heinkel

Die Mutterschafts-Richtlinien (Mu-Rl) schreiben vor, dass ÄrztInnen ihren Beratungen über den nicht-invasiven Pränataltest (NIPT) eine Versicherteninformation zugrunde legen müssen. Der Beschluss für die Kassenleistung ist ausdrücklich solange noch nicht in Kraft, bis diese Versicherteninformation entwickelt ist und vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) genehmigt wurde.

Derzeit finden werdende Eltern, die sich über den NIPT informieren wollen, nahezu ausschließlich Informationen der Herstellerfirmen, die in Wort und Bild perfekt die Bedürfnisse der Eltern in der Frühschwangerschaft aufgreifen und ihnen mit ihrem Test »Sicherheit«, »Gewissheit« und »Beruhigung« versprechen, immer verbunden mit dem Hinweis: ohne Risiko für das Kind. Teilweise suggerieren sie, ihr Test würde ein gesundes Baby sicherstellen. Beispiele finden sich auf den Internetseiten von LifeCodexx, einer Firma, die den PraenaTest vertreibt, und der Firma Natera, die den Panorama-Test anbietet (siehe Links).

Vor diesem Hintergrund hat der G-BA schon zu Beginn des Bewertungsverfahrens beschlossen, dass eine neutrale Information allgemein zu PND und speziell zum NIPT erarbeitet werden soll. Sie soll die werdenden Eltern vor allem darüber informieren, dass sie auch ein Recht auf Entscheidungsfreiheit und Nichtwissen haben (IQWIG 2020, 136–149).

 

Der erste Entwurf: fehlerhaft, unvollständig, tendenziös

 

Anfang März hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) den Entwurf für eine zweiteilige Information vorgelegt: einen allgemeinen Flyer zur Pränataldiagnostik, der allen Schwangeren ausgehändigt werden soll, und eine umfangreichere Broschüre speziell zum NIPT (siehe Link: Versicherteninformation).

Beides ist alles andere als gelungen und Flyer wie Broschüre sind in vielerlei Hinsicht überarbeitungsbedürftig. Trotz der anerkennenswerten Bemühungen um verständliche Informationen zu statistischen Sachverhalten, der mehrfachen Hinweise auf das Recht auf Nichtwissen und die Freiwilligkeit von Untersuchungen: Diese Materialien sind keineswegs »verständliche Informationen für die selbstbestimmte Entscheidung«, so wie es das IQWIG im März auf seiner Internetseite verspricht.

Einige wenige Beispiele für falsche, missverständliche, unklare, unvollständige und tendenziöse Informationen: Falsch ist die Behauptung, der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) würde diesen Test nur bezahlen, wenn sich aus vorhergehenden Untersuchungen wie dem Ersttrimester-Screening ein Hinweis auf eine Trisomie ergeben hat. Der G-BA hat dies ausdrücklich anders beschlossen (siehe auch Teil 1 in DHZ 7/2020, Seite 81ff.). Missverständlich ist die Aussage, der NIPT sei »sehr genau«, oder die häufige Formulierung, der Test könne die Trisomien »erkennen« oder »feststellen«. Das verspricht den LeserInnen zu Unrecht eine Testgüte, die für die Trisomien 13 und 18 nicht gegeben ist und die, je nach Alter der Schwangeren und Ausgangssituation, auch für die Trisomie 21 nicht zutrifft. Zudem legt sie das Missverständnis nahe, der Test könne eine Diagnose liefern, was er verfahrenstechnisch grundsätzlich nicht kann.

Die Materialien sind unvollständig: In beiden fehlt die Information über den Rechtsanspruch der Paare auf Beratung nach § 2 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) und die Vermittlungspflicht der ÄrztInnen in die Beratung und zur Selbsthilfe nach § 2a SchKG.

 

Subtile Botschaften und stereotype Bilder

 

Die Broschüre informiert sachlich korrekt über den Zusammenhang von Alter der Schwangeren und der Wahrscheinlichkeit eines Kindes mit Down-Syndrom. Diese Informationen sind jedoch so formuliert, dass sie bei der NutzerInnentestung des Entwurfs bei den beteiligten Befragten zu dem Missverständnis führten, die meisten älteren Schwangeren würden ein Kind mit Down-Syndrom erwarten – das Gegenteil ist der Fall.

Wie lesen werdende Eltern die Information »Viele Paare entscheiden sich für vorgeburtliche Tests, weil sie so weit wie möglich sichergehen möchten, dass ihr Kind keine Trisomie hat«? Die subtile Botschaft ist: Was viele wollen – ein Kind ohne Trisomie – ist normal und die Tests verschaffen Sicherheit. So formuliert, ist es ein perfekter Werbeblock für den NIPT!

In einem kurzen Absatz erfährt man: »Für andere Paare stellt sich die Frage nach einem Schwangerschaftsabbruch nicht«. Ihre Entscheidung gegen einen NIPT auf Trisomien müsse »von den Ärzten akzeptiert werden.« Die subtile Botschaft: So besonders ist es also, den NIPT nicht zu nutzen!

Warum veranlasst ein auffallendes Testergebnis als erstes zu der »Frage nach einem Schwangerschaftsabbruch«? Es könnte sich auch als erstes die Frage stellen: Wie geht es unserem Kind? Wird es leben können? Werden Operationen nötig sein? Was brauchen wir als Eltern für ein Kind mit einem besonderen Betreuungsbedarf? Welche Ressourcen haben wir? Was bedeutet das für uns als Paar, für unsere Familie?

Ganz sicher kann der Test den Paaren nicht »helfen, sich auf die besonderen Bedürfnisse eines Kindes mit Trisomie einzustellen«. Das ist ein unfaires und sachlich falsches Versprechen. Kein medizinischer Test liefert eine Prognose über die individuelle Ausprägung beispielsweise einer Trisomie 21 beim jeweiligen Kind und schon gar nicht über seine jeweiligen Bedürfnisse.

Geradezu ein inklusionspolitischer Sündenfall sind die Ausführungen zum Familienleben mit einem Kind mit Behinderung. Ihre unausgesprochene Botschaft: Es ist schon schwer und belastend, mit einem Kind mit Down-Syndrom zu leben. Da liest man Sätze wie: Eltern müssen »die Situation annehmen«, »sie ist mit besonderen Belastungen verbunden«, »aber auch bereichernd und vielfältig«. »Viele Eltern gewöhnen sich an die Anforderungen …« »Die meisten Menschen mit Down-Syndrom brauchen ihr ganzes Leben lang Unterstützung …«.«Manche … haben fast normale Fähigkeiten.«

Die Broschüre schaut ausschließlich von außen auf die Familien mit einem besonderen Kind, vom Standpunkt der »Normalen« aus und mit einem erkennbar defizitorientierten Blick: Was ist daran so schlimm, dass jemand sein ganzes Leben lang Unterstützung benötigt? In einer tatsächlich inklusiven Gesellschaft verteilte sich diese Unterstützung auf verschiedenen Schultern, und die Eltern müssten keine Angst haben, mit den Herausforderungen allein gelassen zu werden. Oder: Ist es ein spezielles Merkmal der Menschen mit Down-Syndrom, dass ihnen »die Bindung zur Familie und anderen Menschen« wichtig ist? Spricht das für oder gegen sie? Im Kontext der defizitorientierten Beschreibungen liest es sich beinahe wie eine Bedrohung der Familie und der anderen Menschen.

Warum ist nicht zu lesen, dass Eltern ihre Kinder mit Behinderung einfach lieben, ihnen das Beste wünschen, sie unterstützen und sich über ihre Fortschritte freuen, wie alle anderen Eltern bei ihren Kindern auch? Oder: Warum ist nicht zu lesen, was Menschen mit Down-Syndrom selbst über sich und ihr Leben sagen, über ihren Hilfebedarf, dass sie zum Beispiel gerne leben und sich ihres Lebens freuen, so wie auch Menschen ohne Down-Syndrom?

In diesen Kapiteln wird besonders sichtbar – in dem was zu lesen ist und in dem was fehlt –, dass an der Erarbeitung der Broschüre und auch an der NutzerInnentestung der ersten Entwürfe keine ExpertInnen aus dem Bereich der Selbsthilfe oder Behindertenhilfe beteiligt waren.

Das IQWiG hat ein Stellungnahmeverfahren zu dieser Versicherteninformation durchgeführt, an dem sich an die 50 Verbände, Organisationen und Einzelpersonen beteiligt haben. (IQWIG – Vorbericht zur Versicherteninformation 2020, siehe Link). Am 24. August lädt das IQWiG diese Stellungnehmenden zu einer mündlichen Erörterung ein. Es ist zu hoffen, dass das Institut die kritischen Rückmeldungen aufgreift und die Informationsmaterialien gründlich überarbeitet.

Im Anschluss daran wird eine umfangreiche NutzerInnentestung der überarbeiteten Versicherteninformation durchgeführt, die möglicherweise nochmals Änderungsbedarfe ergibt, bevor sie dem G-BA zur Freigabe übergeben wird.

 

Wohin geht die Reise?

 

Der NIPT ist als Kassenleistung beschlossene Sache. Voraussichtlich im Herbst 2020 wird der Beschluss in Kraft treten.

Es ist zu erwarten, dass viele der Frauen, die den Test auf die Trisomien 13, 18 und 21 als Kassenleistung nutzen, gegen ein Zusatzentgelt auf weitere Chromosomenbesonderheiten testen lassen werden, wenn sie es sich finanziell leisten können (und wollen).

Alle Herstellerfirmen bieten auch die Suche nach den weitgehend unauffälligen geschlechtschromosomalen Besonderheiten an. Manche werben für einen Test auf die Trisomien aller Chromosomen, manche mit der Suche nach 80 und mehr Mikrodeletionen – teils mit einer Prävalenz von lediglich 1:100.000, wie beispielsweise das Miller-Dieker-Syndrom. Für die Nutzerinnen hat die Suche nach sehr seltenen Besonderheiten eine fatale Folge: nämlich eine sehr hohe Rate an falsch-positiven Ergebnissen, die sie beunruhigen und die zu unnötigen invasiven Untersuchungen führen wird.

Die Labore forschen unter Hochdruck an weiteren Tests – auf spätmanifeste Krankheiten, auf Krankheitsdispositionen wie beispielsweise Diabetes oder Brustkrebs oder Anlageträgerschaften von Krankheiten, die sich erst in der übernächsten Generation manifestieren können.

Seit kurzem ist ein weiterer Test auf dem Markt, der auf Mukoviszidose testet, eine monogenetische Erkrankung. Der Test habe eine ethisch bedenkliche Dimension, die weit über den NIPT auf Trisomien hinausgehe, urteilt Prof. Dr. Josef Hecken, der unparteiische Vorsitzende des G-BA. PolitikerInnen haben erschreckt darauf reagiert und ihre gesetzgeberische Verantwortung angesprochen (aerzteblatt.de, Oktober 2019).

In absehbarer Zeit werden die gesamten Erbanlagen des Kindes im Mutterleib zu entschlüsseln sein. Technisch ist das schon möglich, aber noch nicht für die klinische Praxis finanzierbar. Die ÄrztInnen werden ihrer Informationspflicht kaum noch nachkommen können und die Eltern ratlos vor einer Fülle an Informationen über kleinste Abweichungen stehen, weil niemand ihnen sagen kann, ob und welche Auswirkungen sie bei ihrem Kind haben könnten.

Wieviel Wissen erträgt eine Mutter? Zerbrechen wir an dem Wissen, das wir wollten? Das fragt Sandra Schulz, die, wie viele Schwangere, mehr oder weniger gut informiert, einem NIPT zugestimmt hat und dann in einen unerträglichen Entscheidungsstrudel über ihr erwünschtes Kind geriet (Spiegel.de 2019).

Sein Recht auf Nichtwissen wahrzunehmen, nicht wissen zu wollen, wird angesichts dieser Entwicklung einerseits immer bedeutsamer und zugleich zu einer tendenziell sonderbaren Haltung, für die die Paare Ermutigung und Unterstützung brauchen. Möglicherweise müsse der Gesetzgeber angesichts dieser Entwicklung eine Pflicht der Eltern zum Nichtwissen regeln, über die Daten ihres Kindes, die nur dessen künftige Lebensgestaltung betreffen, so der Humangenetiker Prof. Dr. Wolfram Henn bereits 2012 bei der Markteinführung des NIPT (Henn 2012).

 

Was ist zu tun und von wem?

 

Der NIPT ist keine übliche und harmlose Methode der Früherkennung, sondern ein selektiver Test, der als Kassenleistung in erster Linie nach dem Down-Syndrom sucht. Er stellt unseren bisherigen gesellschaftlichen Konsens in Frage, dass jede und jeder willkommen ist, unabhängig von seiner genetischen Ausstattung und seiner Leistungsfähigkeit.

Qualifizierte und frühzeitige Aufklärung und Beratung sind essenziell für eine informierte Entscheidung für oder gegen den NIPT: Alle Professionen sind in diesem Beratungsprozess wichtig und haben Bedeutsames beizutragen. Alle sind verantwortlich für den frühzeitigen Zugang der Paare zur Beratung. Es braucht einen neuen Anlauf zur Weiterentwicklung einer interprofessionellen, konzeptionell durchdachten Zusammenarbeit in der Beratung und Begleitung beim NIPT.

In der Intimität des Beratungsgesprächs kann man allerdings keine ethischen Debatten führen und keine gesellschaftlichen Konflikte lösen.

Der NIPT ist auch ein gesellschaftspolitisches Thema: Wir müssen uns als Zivilgesellschaft zu diesem Test und seinen Zielsetzungen verhalten. Es braucht eine systematische und dauerhafte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Fragen wie: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Wie schauen wir auf Menschen mit Einschränkungen und Hilfebedarf, am Lebensanfang, im Laufe des Lebens und am Lebensende? Auch kritische Verbände müssen in dieser Debatte zu Wort kommen.

Und: Menschen mit Behinderung haben das Recht, in dieser Diskussion gehört und auf Augenhöhe beteiligt zu werden. Die Bedingungen für ihre Teilnahme müssen so gestaltet werden, dass sie sich auch zu Wort melden können.

Es braucht endlich eine politische Entscheidung zu diesen Tests: Das Parlament muss seine Steuerungsverantwortung wahrnehmen, das hat der G-BA mehrfach in diesem Bewertungsverfahren angemahnt. Es muss die Zulassung solcher selektiven Tests regeln, es muss die Ankündigungen in der Orientierungsdebatte von 2019 umsetzen und die Rahmenbedingungen für Eltern mit einem behinderten Kind umfassend verbessern, ganz gleich, welchen Unterstützungsbedarf das Kind hat.

Angesichts der unseriösen Werbestrategien der Herstellerfirmen und Anbieter für ihre Tests ist zu prüfen – und zwar im Interesse der werdenden Eltern –, ob diese nicht unter das Werbeverbot für den Schwangerschaftsabbruch nach § 219a StGB fällt (AKF 2019).

 

»Natürlich ganz großer Mist …«

 

Was sagen Menschen mit dem Down-Syndrom zu den Tests auf Trisomie 21 und zum Beschluss des G-BA? »Natürlich ganz großer Mist…« so fasst Jonas Sippel, Schauspieler beim RambaZamba Theater Berlin seine Haltung dazu knapp und klar zusammen. »Menschen mit Trisomie 21 sind Menschen, die dazugehören. Seid verantwortungsvoll mit unserem Leben, wir haben alle nur eins und man bekommt keine zweite Chance. Helft mit, eine vielfältige Gesellschaft aufzubauen, die nicht aussortiert und nicht stigmatisiert, sondern Räume für ein glückliches Zusammenleben ermöglicht« (Sippel 2020).

Rubrik: Politik & Gesellschaft | DHZ 08/2020

Literatur

Aerzteblatt.de: Nicht-invasive Pränataltests: Verständliche Informationen für die selbstbestimmte Entscheidung. 15.10.2019. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/106687/Nichtinvasive-Praenataldiagnostik-Debatte-um-neuen-vorgeburtlichen-Bluttest

AKF: Stellungnahme des Arbeitskreises Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF) zum Aufruf des G-BA vom 22.3.2020. https://www.arbeitskreis-frauengesundheit.de/wp-content/uploads/2019/05/Stelln_AKF_zur-Kassenzulassung_NIPT_end.pdf

Genethisches Netzwerk: Richtungsweisende Fehleinschätzung: https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/september-2019/richtungsweisende-fehleinschaetzung. 26.9.2019
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