QM in der Freiberuflichkeit | Teil 18

Einander vertreten

Sich als Hebammen gegenseitig zu vertreten und dies gut zu organisieren, hängt eng mit dem Thema Erreichbarkeit zusammen. Die Berufsordnungen der Länder stellen unterschiedliche Ansprüche. Die Umsetzung wird bei zunehmendem Hebammenmangel und immer mehr verschiedenen Tätigkeitsfeldern schwieriger. Monika Selow
  • Der Umgang mit der gegenseitigen Vertretung in der Hebammenarbeit ist regional sehr verschieden – auch die Berufsordnungen der Länder regeln das unterschiedlich.

Die Anforderungen an die gegenseitige Vertretung gehen zurück auf eine Zeit, in der Hebammen für die Geburtshilfe erreichbar sein mussten. Sie standen damals flächendeckend und bedarfsorientiert in Kreisen und Kommunen zur Verfügung. Der Betreuungszeitraum umfasste wenige, überwiegend planbare Termine in der Schwangerschaft und regelhaft die ersten zehn Tage nach der Geburt. Die gegenseitige Vertretung in Urlaubs- und Krankheitszeiten beschränkte sich im Wesentlichen auf die Geburtshilfe und unaufschiebbare Leistungen kurz vor und nach der Geburt.

Darüber hinausgehende Leistungen, wie Mütterberatung am Gesundheitsamt und in späteren Zeiten auch Rückbildungsgymnastik oder Stillcafé waren planbar und mit eigenen Urlaubszeiten vereinbar. Bei kurzfristiger Krankheit der Hebamme fielen sie einfach aus. Inzwischen arbeiten die meisten der freiberuflichen Hebammen, ohne Geburtshilfe anzubieten. Die Betreuungszeit reicht vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit und umfasst damit einen Zeitraum von rund zwei Jahren. Neben den planbaren Leistungen, die gegebenenfalls ausfallen, verschoben oder nicht angeboten werden, herrscht Unklarheit, wie mit der Wochenbettbetreuung über acht Wochen, der Stillberatung oder der Schwangerenvorsorge zu verfahren ist.

 

Rechtliche Grundlagen

 

In den Berufsordnungen der Länder lassen die Anforderungen an die gegenseitige Vertretung der Hebammen eine unterschiedliche Verbindlichkeit vermuten. So benutzen einige Berufsordnungen Formulierungen wie: „... sollen zur gegenseitigen Vertretung bereit sein", beispielsweise Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg. Andere hingegen schreiben: „... sind verpflichtet, sich gegenseitig zu vertreten", beispielsweise Nordrhein-Westfalen. Die Vorschriften der meisten Berufsordnungen richten sich an die Hebamme, die die Vertretung übernehmen soll. Niedersachsen hingegen richtet sich an die Hebamme, die eine Vertretung benötigt: „Sind sie (die Hebammen) nicht unmittelbar zu erreichen, so muss eine Vertretung gewährleistet sein." In der hamburgischen Berufsordnung wird durch eine nähere Beschreibung zum Vertretungsfall deutlich, dass dieser sich auf die Geburt bezieht. Dort steht: „Hebammen und Entbindungspfleger haben kollegial zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu vertreten. Bei Vertretungen sind die Hebamme und der Entbindungspfleger verpflichtet, nach Vollendung der Geburt der erstgerufenen Hebamme oder dem erstgerufenen Entbindungspfleger die Betreuung wieder zu überlassen, wenn diese und die Entbundene es wünschen." Überwiegend wurden ältere Vorschriften mit Ausführungen zum Vorgehen im Detail jedoch ersatzlos gestrichen – so beispielsweise in Hessen: „Die jeweilige Vertretung soll dem Gesundheitsamt angezeigt werden." Sie wurden gegen kurze Soll-Formulierungen mit Appellcharakter ausgetauscht. Gänzlich fehlen Hinweise darauf, wie die Hebamme verfahren soll, wenn sie keine Vertretung findet, oder welche Konsequenz es hat, wenn sie die gestellte Anforderung nicht erfüllt beziehungsweise nicht erfüllen kann. Im Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe wurden bislang nur für Geburtshäuser nähere Ausführungen zur Vertretung beschrieben (siehe Kasten).

 

Voraussetzung an den Betrieb der Hebammengeleiteten Einrichtungen (HgE)

 

„Der Träger der HgE stellt sicher, dass zumindest eine Hebamme für die Geburtsbetreuung in der Einrichtung ständig erreichbar und einsatzbereit ist. Bei unvorhersehbarem Ausfall der für die Geburtsbetreuung einsatzbereiten Hebamme hat sich diese oder die fachliche Leitung/ihre Vertretung nach § 1, Absatz 1, Nr. d, unverzüglich um eine adäquate Versorgung der Versicherten zu kümmern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Stellvertretung im Falle eines unvorhersehbaren Ausfalls so zur Verfügung steht, dass die adäquate Betreuung der Versicherten zu jedem Zeitpunkt möglich ist.
Kann die Vertretung aufgrund bestimmter struktureller Voraussetzungen (z.B. zum Beispiel kleine HgE) nicht gewährleistet werden, ist die Versicherte hierüber und über das dann vorgesehene Procedere (Begleitperson, Einweisung in die Klinik oder Verweis auf eine andere HgE) im Voraus zu informieren. Dies ist in der Aufklärung zu vermerken.

In Zeiten von geplanten Schließungen kann die geburtshilfliche Versorgung sichergestellt werden durch die Kooperation mit einer:

  • anderen HgE und/oder
  • Vertretungshebamme und/oder
  • geburtshilflichen Abteilung einer Klinik.

Die Versicherte ist bei der Aufklärung über Zeiten geplanter Schließungen und das hierfür vorgesehene Procedere zu informieren."

(Ergänzungsvertrag nach § 134a SGB V über Betriebskostenpauschalen bei ambulanten Geburten in von Hebammen geleiteten Einrichtungen und die Anforderungen an die Qualitätssicherung in diesen Einrichtungen vom 27.6.2011, Anlage 1, Qualitätsvereinbarung, § 1, Absatz 4)

Die Regelungen berücksichtigen, dass insbesondere in kleinen Teams Urlaube zu gemeinsamen Zeiten genommen werden, in denen dann keine Frauen angenommen werden. Anstelle einer Vertretung durch eine andere Hebamme kann auch die Klinik oder eine ärztliche Betreuung stehen. Wesentliches Element ist, wie auch in einigen Berufsordnungen, die Verpflichtung, die Frau über die Vertretungssituation und die Erreichbarkeit aufzuklären. Berücksichtigung der Vertretungssituation und Erreichbarkeit der Hebamme in der Aufklärungsverpflichtung ergeben sich aus der Garantenpflicht, die für im Gesundheitswesen Tätige gegenüber jenen gilt, mit denen ein Behandlungsvertrag besteht. Sie ergeben sich auch aus der Sorgfaltspflicht, mit der Hebammen ihren Beruf ausüben müssen.

 

Vertretungssituation in der Praxis

 

Die früher übliche gegenseitige Vertretung bei geplanten Abwesenheiten durch Urlaub oder Fortbildung sowie bei ungeplanten Ausfallzeiten durch Krankheit oder Unfall wird heute erschwert durch:

  • Hebammenmangel
  • umfassendere und längere Betreuung
  • unterschiedliches, reduziertes Leistungsspektrum der Hebammen
  • parallele Tätigkeit freiberuflich und angestellt
  • undifferenzierte rechtliche Vorgaben
  • Überlastung der einzelnen Hebamme, so dass die kurzfristige Übernahme zusätzlicher Leistungen nicht möglich ist.

Regional und auf das Leistungsspektrum bezogen haben sich daher unterschiedliche Strategien im Umgang mit der Vertretungssituation etabliert. Das Spektrum reicht von der eigenen Dauerbereitschaft mit weitgehendem Verzicht auf Urlaub bis zu der Erwartung, die Frau müsse sich selbst um eine Vertretung kümmern und notfalls ohne Hebamme auskommen.

Tatsächlich kann unabhängig vom Wortlaut der Berufsordnung nur erwartet werden, was verhältnismäßig und zumutbar ist. So wie heute Hebammen nicht mehr verpflichtet sind, alle Frauen anzunehmen, die in ihrem Gebiet wohnen, so müssen sie auch nicht alle Frauen übernehmen, die eine abwesende Kollegin zurücklässt. Umgekehrt bestehen ein Anspruch auf Urlaubs- und Erholungszeiten und eine Verpflichtung zur Fortbildung. Bei plötzlicher Krankheit der Hebamme ist es rein organisatorisch nicht möglich, aus dem Krankenbett die umfangreiche Kommunikation mit Frauen und Kolleginnen zu führen, die nötig wäre, um alle Frauen, die sich in Betreuung befinden, unter Kolleginnen zu verteilen, zu übergeben und die betroffenen Frauen darüber zu informieren. Es ist legitim, bei der Vertretungssuche zu priorisieren und nicht so Dringendes zu verschieben.

Bei der Planung der eigenen Erreichbarkeit und der Vertretungsregelung sollten Hebammen berücksichtigen, dass die Verfügbarkeit von Hebammenhilfe ein Wettbewerbsvorteil gegenüber weniger verfügbaren Unterstützungs- und Betreuungsangeboten sein kann. Im Rahmen des Sinnvollen und Möglichen, stellen gute Erreichbarkeit und Vertretungsregeln eine berufstypische Serviceleistung dar, die auch in die Beurteilung der Qualität der Hebammenbetreuung einfließt.

 

Freiberufliche Tätigkeit mit Geburtshilfe

 

Die Geburtshilfe stellt die Kernleistung für die Notwendigkeit ständiger Erreichbarkeit und Regelung der Vertretung dar. In Organisationen wie Geburtshäusern, Belegkliniken und Hebammenpraxen mit Hausgeburtsangebot kann die Verfügbarkeit einer Hebamme aus dem Team über eine Art Dienstplan sichergestellt werden, gegebenenfalls mit gegenseitigem Einspringen bei akutem Bedarf wegen Krankheit oder erhöhtem Arbeitsaufkommen. Um einen durchgehenden ersten und zweiten Dienst organisieren zu können und dabei freie Tage und Urlaube zu haben, sind mindestens fünf Hebammen erforderlich. Mit nur zwei bis drei Hebammen bedeutet eine geplante Geburtsbetreuung mit zweiter Hebamme Dauerbereitschaft, Verzicht auf Urlaub oder spontanes Reagieren bei Erkrankung einer Hebamme oder wenn zwei Geburten gleichzeitig zu betreuen sind. Um dies weitgehend zu vermeiden, bieten manche der kleinen Teams zu gemeinsamen Urlaubszeiten keine Geburtsbetreuungen an. Mangels Alternativen ist die freie Wahl des Geburtsortes dadurch für die Frauen eingeschränkt.

Bei Betreuung von Haus- und Geburtshausgeburten sowie Beleggeburten durch eine bestimmte Hebamme, sollte die gegenseitige Vertretung durch die Hebammen in der Region angestrebt werden. Für die Geburtshilfe alleine ist dies meist unproblematisch, da eine tatsächliche Inanspruchnahme eher selten ist und daher zusätzlich zum eigenen Arbeitspensum für die Vertretungskraft möglich. Idealerweise werden Urlaube miteinander abgesprochen. Dieses Modell ist vielerorts nicht mehr möglich, wenn Geburtshilfe von den anderen Hebammen nicht mehr angeboten wird.

Durch die Haftpflichtproblematik und den dadurch bedingten Rückzug der Hebammen aus der Geburtshilfe haben viele Teams Probleme, die geplante Besetzung regelhaft umzusetzen. Alleine arbeitende Hebammen finden oft keine Vertretung für geburtshilfliche Leistungen. Es ist auch ohne Vertretung möglich, Geburtshilfe anzubieten. Die Frauen müssen jedoch im Vorfeld darüber informiert werden. In diesem Fall umfasst die Aufklärung geplante Abwesenheitszeiten der Hebamme und das Vorgehen in akuten Situationen wie Krankheit der Hebamme oder parallele Geburten. Die „Vertretung" übernehmen dann Arzt, Ärztin oder Klinik. Die Aufklärung wird dokumentiert und kann durch ein Merkblatt mit Hinweisen zum Vorgehen und wichtigen Telefonnummern unterstützt werden.

 

Freiberufliche Tätigkeit ohne Geburtshilfe

 

Planbare Leistungen mit flexibler Terminierung, wie beispielsweise Kurse, erfordern meist keine Vertretung. Sie werden in Urlaubszeiten nicht angeboten und fallen bei akuter Erkrankung aus, beziehungsweise werden verschoben. Die Vertretung für Kurse in Organisationen ist gut möglich, wenn ein gemeinsames Kurskonzept vorliegt und Absprachen untereinander zum Vorgehen getroffen wurden. Sinnvoll ist es, sich für jeden Kurs eine Liste zur Erreichbarkeit der Frauen anzulegen, so dass sie im Bedarfsfall kurzfristig informiert werden können, wenn der Kurs ausfallen muss.

Für Leistungen in Schwangerschaft, Wochenbett und Stillzeit ist die gegenseitige Vertretung entsprechend einer Priorisierung sinnvoll. So können absehbar notwendige Wochenbettbesuche in den ersten Tagen nach der Geburt und bei akutem Betreuungsbedarf durch eine Vertretung erfolgen. Frauen im späten Wochenbett und in der Schwangerschaft wird empfohlen, sich nur bei akuten Problemen zu melden, Arzt, Ärztin oder Klinik in Anspruch zu nehmen oder zu warten, bis die betreuende Hebamme wieder zur Verfügung steht. Auch freiberufliche Hebammen ohne Geburtshilfe müssen ihre Klientinnen über ihre Erreichbarkeit und Vertretungsregelung aufklären. Diese Aufklärung wird dokumentiert und kann durch ein Merkblatt unterstützt werden.

 

Organisation der Vertretung

 

Die Organisation der Vertretung erfordert gegenseitige Absprachen zum Vorgehen untereinander. Diese umfassen:

  • Vertretungsanlässe mit dem jeweiligen Vorgehen
  • Regelungen zum Umgang mit Datenschutz und Schweigepflicht
  • Absprachen zur Abrechnung (kontingentierte Leistungen, Materialpauschalen)
  • Austausch der Kontaktdaten mit regelmäßiger Aktualisierung
  • Regelung der Übergabemodalitäten.

Die Frauen sollten mit Abschluss des Behandlungsvertrages oder im Vorgespräch über die Erreichbarkeit der Hebamme und unterschiedliche Situationen mit Vertretungsmöglichkeiten informiert werden. Der Behandlungsvertrag kann einen Passus zur Entbindung von der Schweigepflicht gegenüber der/den vertretenden Hebamme(n) enthalten, so dass im Bedarfsfall eine Übergabe erfolgen kann. Wurde keine Entbindung von der Schweigepflicht eingeholt, so kann dies auch telefonisch beziehungsweise per E-Mail geschehen, zum Beispiel im akuten Bedarfsfall bei Krankheit der Hebamme.

Liegt keine Entbindung von der Schweigepflicht vor, erhält die Frau lediglich die Kontaktdaten der vertretenden Hebamme. Sie ist dann selbst verantwortlich für die Übermittlung des bisherigen Verlaufes, da eine persönliche Übergabe zwischen den Hebammen nicht möglich ist. Bei vertretungsbedingten Wechseln in der Betreuung kann auch ein Übergabebrief bei der Frau gelassen werden, die dann selbst entscheidet, ob sie diesen weitergibt.

 

Resümee

 

Seit einigen Jahren befindet sich der Hebammenberuf im Umbruch. Die für die Frauen gewünschte Verfügbarkeit von Hebammenhilfe lässt sich durch Regelungen zur Erreichbarkeit und zur gegenseitigen Vertretung nur unbefriedigend umsetzen. Lösungen könnten in einer verstärkten Teambildung liegen, in der Einrichtung eines bezahlten Bereitschaftsdienstes – ähnlich dem Arztnotruf – oder in der Tätigkeit von reinen Vertretungshebammen, wie es in den Niederlanden praktiziert wird. Alle denkbaren Modelle erfordern Verbesserungen bei den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Hebammen.

Rubrik: Organisation & Qualität, QM | DHZ 11/2015

Literatur

Berufsordnung für Hebammen und Entbindungspfleger (HebBO) vom 3. Dezember 2010: Nr. 22 Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen, Teil 1, 16.12.2010. http://www.hebammen-hessen.de/images/stories/intern/downloads/gvbl_hebbo_03_12_2010.pdf (letzter Zugriff: 8.9.2015)

Berufsordnungen für die Hamburgischen Hebammen und Entbindungspfleger vom 7. April 1992: http://hebammenverband-hamburg.de/uf/Berufsordnung1992.pdf (letzter Zugriff: 8.9.2015)

Berufsordnung für Hebammen und Entbindungspfleger (HebBO) vom 9. November 2010: Berlin (2010)
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