QM in der Freiberuflichkeit | Teil 7

Erste Hilfe

Zur Ersten Hilfe bei Unfällen und in Notsituationen ist jeder verpflichtet. Je nach Qualifikation werden dabei unterschiedliche Kenntnisse und Vorbereitungen erwartet. Was bedeutet das konkret für Hebammen, für ihre Organisation und Dokumentation? Monika Selow

Unfälle und Notsituationen sind selten, sie können jedoch jederzeit und ohne Vorwarnung eintreten. Das Ausmaß des Schadens ist dabei oft erst im Nachhinein feststellbar. Personen, die oft nur zufällig anwesend sind, können Unfallfolgen durch rasche und kompetente Ersthilfe wesentlich mildern.

 

Rechtliche Grundlagen

 

Die Verpflichtung, Erste Hilfe zu leisten, ergibt sich aus dem Strafgesetzbuch (StGB), in dem es in § 323c (Unterlassene Hilfeleistung) heißt: „Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft." (StGB 1998)

Wie dies im Einzelfall interpretiert wird, zeigen zahlreiche Gerichtsurteile. Es reicht jedenfalls nicht aus, Hilfe zu rufen oder darauf zu vertrauen, dass andere Hilfe leisten werden. Eine unzumutbare Gefahr wird anerkannt, wenn beispielsweise jemand im Winter ins Eis eingebrochen ist. Hier ist es für Anwesende unzumutbar, selbst in den See zu springen, jedoch müssen sie Hilfe rufen und Rettungsmittel wie Rettungsring oder Seil einsetzen. Eine zumutbare Gefahr stellt die potenzielle Möglichkeit einer HIV-Infektion dar, wenn für einen blutenden Menschen Hilfe zu leisten ist (DGUV 2012).

Als Unglücksfall gelten alle plötzlich eintretenden Ereignisse, die mit erheblichen Gefahren für Menschen oder Sachen einhergehen. Typische Unfälle und Notfälle im Bereich der Hebammentätigkeit können sein:

  • Stürze von Erwachsenen (Badewannen, Treppen, Positionswechsel)
  • Stürze des Neugeborenen (vom Wickeltisch, aus Tragehilfen, beim Transport)
  • Verbrennungen (Wasserkocher, Wärmflasche, Kirschkernsäckchen, zu heiße Nahrung)
  • Stich- und Schnittverletzungen (Glasbruch, Kanülen, chirurgische Instrumente)
  • Vergiftungen (falsche Medikamenteneinnahme, unsachgemäße Anwendung von gefährlichen Stoffen wie Desinfektionsmitteln)
  • plötzliche Verschlimmerung einer bestehenden Erkrankung (Bewusstlosigkeit, Krämpfe, Atemnot, Herz-Kreislauf-Problematik).

Für Laien umfasst die Verpflichtung zur Ersthilfe auch den Beistand bei geburtshilflichen Komplikationen, nicht jedoch die bei einer normalen Geburt. Da sich hier die Erfordernisse für Hebammen deutlich von denen für Laien unterscheiden und mit typischen Berufspflichten mischen, bedürfen sie einer gesonderten Betrachtung im Rahmen des Notfall- und Risikomanagements. Die Verpflichtung zur Ersten Hilfe umfasst für die Hebamme nicht nur Mutter und Kind, sondern alle anwesenden Personen, wie beispielsweise Großeltern, Geschwisterkinder, PartnerInnen oder Gäste. Bei einer Arbeit im Team umfasst sie auch die gegenseitige Hilfe. Sie besteht unabhängig vom Verschulden an einem Unfall. Ob Hilfe erforderlich ist, ist aus dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zu beurteilen.

Für ErsthelferInnen gilt:

  • Sie können nicht für Kollateralschäden bestraft werden, etwa Zerreißen der Kleidung oder Rippenbrüche bei Reanimation.
  • Sie haben Anspruch auf Ersatz der getätigten Aufwändungen und selbst erlittener Schäden durch das Opfer, den Verursacher des Unglücks oder die gesetzliche Unfallversicherung.
  • Sie sind beim jeweiligen Unfallversicherungsträger „automatisch" versichert (SGB VII 1996).
  • Bei Hilfe durch Laien gilt eine Haftungsreduzierung (§ 680 BGB) für Schäden, die durch fehlerhaft durchgeführte Maßnahmen entstehen können. Sie haften nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit (DGVU 2012).

 

Garantenstellung

 

Ein wesentlich höheres Strafmaß wird angewendet, wenn eine Person die Erste Hilfe unterlässt, die eine sogenannte Garantenstellung innehat. Das bedeutet, dass sie eine besondere Verantwortung für den Schutz eines Rechtgutes oder eine Gefahrenquelle trägt. Dies gilt beispielsweise für Räum- und Streupflichten bei Hauseigentümern oder Aufsichtspflichten von Eltern und ErzieherInnen, denen Kinder anvertraut sind. Hebammen haben eine Garantenstellung gegenüber den von ihnen betreuten Personen, aber auch beispielsweise als Veranstalterin, wenn sie ein Sommerfest ausrichten gegenüber allen Besuchern. Neben der Pflicht zur Ersten Hilfe haben sie dabei schon vorher die Verpflichtung, Unglücksfällen vorzubeugen und Vorkehrungen für den Fall der Fälle zu treffen.

Eine besondere Verpflichtung hat die Hebamme auch gegenüber Arbeitnehmerinnen. Als Unternehmerin und Versicherte bei der Berufsgenossenschaft (BGW) gelten für die Hebamme die Unfallverhütungsvorschriften (Neufassung für Oktober 2014 angekündigt) und die Grundsätze der Prävention, die die Deutsche gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) und die BGW herausgeben (BGW 2013). Die Verpflichtung zur Beachtung der Unfallverhütungsvorschriften wurde auch in den Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe nach § 134a SGB V übernommen.

 

Ersthilfe durch professionelle Helfer

 

Professionelle HelferInnen unterliegen im Falle der Ersten Hilfe der Schweigepflicht. Für NotärztInnen und RettungssanitäterInnen soll nach einer umstrittenen Auffassung der Rechtswissenschaft die genannte Haftungsbeschränkung bei Ersthilfe nicht gelten. Dies würde bedeuten, dass sie bereits bei leichter Fahrlässigkeit für Fehler haften. An sie werden höhere Anforderungen bei der Erstversorgung von Unglücksopfern gestellt.

Hebammen liegen in Bezug auf die Fachkenntnis zwischen Laien und Notärzten. Von ihnen wird Erste Hilfe mindestens in dem Umfang erwartet, der in der Hebammenausbildung vermittelt wird. Hinzu kommen Elemente, die bei bestimmten Angeboten wie Übungen im Wasser, Babyschwimmen oder Sauna besondere Kenntnisse des Garanten verlangen. Das sind zum Beispiel Erste Hilfe bei Ertrinken und Rettung aus dem Wasser.

 

Ausbildung

 

Für unterschiedliche Personengruppen umfasst die Qualifikation für Erste Hilfe verschiedene Inhalte und dauert unterschiedlich lange. So liegt derzeit die Mindestanforderung für den Auto-Führerschein ohne gewerbsmäßige Personenbeförderung bei acht Stunden à 45 Minuten für „Lebensrettende Sofortmaßnahmen". Angehende LKW- und BusfahrerInnen müssen weitere acht Stunden für den „Kleinen Erste-Hilfe-Kurs" zusätzlich absolvieren. Auffrischungen sind empfohlen, bislang jedoch nicht verpflichtend. Die aktuelle Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Hebammen sieht mindestens 30 Stunden für Erste Hilfe vor, die die Mindestinhalte nach Tabelle 1 umfassen.

Die Hebammenausbildung qualifiziert als „Ersthelfer", die beispielsweise in Betrieben benannt werden. Hebammen, deren Ausbildung länger her ist, die sich an einzelne der Themengebiete nicht erinnern oder deren Erste-Hilfe-Anteil in der Ausbildung deutlich geringer war, sollten im Rahmen des Risikomanagements einen Auffrischungskurs besuchen.

 

Erste Hilfe im QM

 

Verpflichtende und empfohlene Maßnahmen unterscheiden sich, je nachdem, ob Räume unterhalten werden, eine Garantenstellung besteht oder ArbeitnehmerInnen beschäftigt werden. Im Folgenden wird zwischen verpflichtenden und empfohlenen Maßnahmen nicht unterschieden.

Im laufenden Betrieb besteht die Organisation der Ersten Hilfe aus folgenden Bestandteilen:

  • Kenntnis der gesetzlichen Grundlagen
  • Überprüfung des eigenen Wissens auf Aktualität, gegebenenfalls Fortbildung
  • Bereithalten von Materialien zur Leistung erster Hilfe und Kennzeichnung zum leichten Auffinden bei Bedarf
  • Bereithalten von Notfallnummern von ÄrztInnen und Rettungsdienst
  • Unterweisung von MitarbeiterInnen
  • Dokumentation von Erste-Hilfe-Leistungen.

 

Fortbildung

 

Hebammen sind durch die Berufsordnungen und das Sozialgesetzbuch verpflichtet, ihr Wissen aktuell zu halten. In Bezug auf die Erste Hilfe wird vorausgesetzt, dass sie mindestens die aktuell in der Ausbildung enthaltenen Bestandteile beherrschen. Dies ist auch haftungsrechtlich relevant. Ob der Kenntnisstand noch aktuell ist, richtet sich nach dem Abstand zur Ausbildung oder der letzten Fortbildung. Für Hebammen ist eine Auffrischung nicht explizit vorgeschrieben.

Ob ihre Kenntnisse inhaltlich noch aktuell sind, können Hebammen grob überprüfen, indem sie das eigene Wissen mit aktuellen Veröffentlichungen zu den einzelnen Erste-Hilfe-Themen vergleichen. Hierzu eignen sich beispielsweise die Veröffentlichungen des Deutschen Feuerwehrverbandes in der Reihe „Erste-Hilfe kompakt", die unter www.dfv.org/erste-hilfe-kompakt.html zu finden sind. Diese können auch als Gedächtnisstütze für Unterweisungen und als Kurzanleitung dienen.

Fortbildungen für Erste Hilfe werden flächendeckend vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) und anderen Hilfsorganisationen angeboten, sowohl für Laien als auch für Berufsgruppen mit Vorkenntnissen. Die Kurse sind preiswert und für bestimmte Fälle übernimmt die Deutsche Unfallversicherung die Kosten. Sie sollten von den Gesundheitsämtern als „Notfallfortbildung" anerkannt werden. Folgende Angebote sind üblich:

  • Erste-Hilfe-Grundlehrgang (16 Stunden)
  • Erste Hilfe-Training (etwa 8 Stunden)
  • Erste Hilfe bei Notfällen mit Säuglingen und Kleinkindern (mindestens 4 Stunden, auch für Eltern zu empfehlen)
  • Erste Hilfe im Betrieb
  • Auffrischungskurse.

Viele Anbieter haben auch individuelle Kurse für besondere Personengruppen im Programm. Diese können in Absprache nach besonderen Schwerpunkten gestaltet werden, so dass auch berufsspezifisch besonders wichtige Bestandteile wie Transportvorbereitung oder Verlegung gleich mit bearbeitet oder geübt werden können. Dies ist eine gute Möglichkeit für Hebammen in Kreisverbänden oder in Geburtshäusern.

 

Erste-Hilfe-Materialien und Kennzeichnung

 

So wie in jedem Kraftfahrzeug, ist auch in jedem Betrieb ein Verbandskasten vorgeschrieben. Es gibt normierte Verbandskästen je nach Betriebsgröße und Gefahrenpotenzial. Für Hebammenpraxen und Geburtshäuser reicht meistens der „Verbandskasten klein" nach DIN 13157. Der Standort der Erste-Hilfe-Materialien muss gut ausgeschildert sein. Hierfür gibt es Aushänge – ähnlich denen beim Brandschutz (siehe DHZ 8/2014, Seite 64). Darauf sind auch die Notrufnummern und die Telefonnummern sogenannter „Durchgangsärzte" (Unfallärzte, die mit der gesetzlichen Unfallversicherung zusammenarbeiten) vermerkt. Diese Aushänge werden zweckmäßigerweise neben dem Brandschutzplan gehängt. Die Standorte der Erste-Hilfe-Materialien sind auch auf den gegebenenfalls vorhandenen Fluchtwegeplänen zu vermerken.

 

Unterweisung

 

Wenn MitarbeiterInnen beschäftigt werden, sind diese jährlich in Erster Hilfe zu unterweisen. Dies ist auch sinnvoll bei der Einarbeitung neuer Kolleginnen in Hebammenteams sowie als regelmäßige Übung. Die Unterweisung erfolgt durch sogenannte „Ersthelfer", Personen, die im Betrieb als Ersthelfer benannt sind und die mindestens den Grundkurs Erste Hilfe besucht haben müssen mit einer Auffrischung alle zwei Jahre, oder die eine medizinische Ausbildung haben. Deren Aufgabe ist es beispielsweise auch, Erste-Hilfe-Materialien nach Verfall oder Gebrauch auszutauschen beziehungsweise zu ergänzen und Notfallnummern aktuell zu halten.

Die Unterweisung umfasst folgende Fragen:

  • Welche MitarbeiterInnen sind Ersthelfer?
  • Wo und wie kann ein Notruf abgesetzt werden?
  • Wem ist ein Unfall zu melden?
  • Wo befindet sich Verbandzeug?
  • Was ist bei einem Arbeitsunfall zu tun?
  • Wie werden Rettungseinheiten an den Notfallort geleitet?
  • Welche ÄrztInnen sind nach einem Unfall aufzusuchen?
  • Wie wird die Erste Hilfe dokumentiert?
  • Welche Pflichten bestehen bei einem Arbeitsunfall?
  • Wie kann das Erste-Hilfe-Personal beziehungsweise der Rettungsdienst unterstützt werden?
  • Wo befinden sich Alarmpläne?

 

Dokumentation

 

Jede Erste-Hilfe-Leistung muss dokumentiert werden. Hierfür gibt es Vorlagen, die bei der BGW oder der gesetzlichen Unfallversicherung bezogen werden können. Möglich ist die Dokumentation im sogenannten „Verbandbuch" (BGI/GUV-I 511), auf dem „Meldeblock" (BGI 511-3) oder auf dem Formular „Dokumentationsbogen für Erste-Hilfe-Leistungen". Dokumentiert werden alle Verletzungen. Die Dokumentationsvorlagen sind zu beziehen (teilweise als Download) über www.dguv.de/fb-erstehilfe/Themenfelder/Dokumentation-von-Erste-Hilfe-Leistungen/index.jsp.

Bei Arbeitsunfällen müssen Dokumentationen mindestens fünf Jahre aufbewahrt werden. Unfälle, die eventuell haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, wie ein Unfall durch einen Fehler der Hebamme oder Materialfehler im Kursbereich, werden zusätzlich in der Akte der Frau dokumentiert. Diese muss entsprechend länger aufbewahrt werden.

Rubrik: Organisation & Qualität, QM | DHZ 09/2014

Literatur

Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Hebammen und Entbindungspfleger (HebAPrV): neugefasst durch B. v. 16.03.1987 BGBl. I S. 929; zuletzt geändert durch Artikel 5 V. v. 02.08.2013 BGBl. I S. 3005; Geltung ab 01.01.1983, Anlage 1 http://www.buzer.de/gesetz/6215/a86569.htm (letzter Zugriff: 23.7.2014)

BGW: BGR A1 Grundsätze der Prävention, Berufsgenossenschaftliche Regel (zu den §§ der BG-Vorschrift BGV A1), Erstveröffentlichung 03/2006, Stand 09/2013: www.bgw-online.de/SharedDocs/Downloads/DE/Medientypen/bgw_vorschriften-regeln/BGRA1_Grundsätze%20der%20Prävention_Download.pdf?__blob=publicationFile (2013)

DGVU: Rechtsfragen bei Erster-Hilfe-Leistung durch Ersthelfer. http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/erstehilfe12.pdf. 6. aktualisierte Auflage Juni (2012)
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