Ultraschall in Hebammenhand

Vor 150 Jahren war es das Hörrohr, heute ist es der Ultraschall. Hebammen müssen sich ein diagnostisches Mittel aneignen, das bis dato in Ärztehand lag. Ein Kommentar. Univ. Prof. Dr. Christoph Brezinka
  • Christoph Brezinka: »Nichts stimmt weniger als die alte Macho-Mär, dass Hebammen nicht ›schallen‹ sollten, weil sie als Frauen nicht räumlich denken könnten.«

Ausgerechnet das Holzhörrohr, jenes Gerät, das die Ärzte den Hebammen vor 150 Jahren verbieten und sich selbst vorbehalten wollten, ist zum trotzigen Symbol vieler Hebammen gegen den Ultraschall geworden. Auch die Auskultation mit dem Hörrohr musste einmal von einer Generation von Hebammen erlernt werden, die dieses Wissen untereinander weitergaben. Der Widerstand der Hebammen gegen den Ultraschall scheint inzwischen gebrochen zu sein. Wenn die französischen, niederländischen, britischen und schwedischen Hebammen den Ultraschall erlernen und anwenden können – warum nicht auch die deutschen Hebammen?

1819 bastelte der französische Arzt Dr. René Laënnec ein hölzernes Hörrohr zur Diagnostik von Herz und Lungen und nannte es Stethoskop. Es war eine der wichtigsten Erfindungen der Medizingeschichte. Dem adligen Privatgelehrten Vicomte de Kergaradec gelang es etwas später, das Laënnecsche Holzrohr so weiterzuentwickeln, dass man damit die Herztöne des ungeborenen Kindes hören konnte.

Er entwickelte ein Design, das sich bis heute erhalten hat. Ganz im Gegensatz zum Stethoskop, das mit der Entwicklung biegsamer Schläuche und Membranen nur noch wenig mit dem Holzrohr von einst gemeinsam hat. Innerhalb weniger Jahre setzte sich die fetale Auskultation überall in Europa, so auch im deutschen Sprachraum durch. Immer mehr Ärzte konnten mit dem Hörrohr unter der Geburt gut umgehen – und es stellte sich die Frage, ob sich auch Hebammen diese neue Fertigkeit aneignen durften.

 

Ärztliche Privilegien

 

Nein, lautete die einhellige Antwort der Ärzte, den Hebammen fehle als Frauen die »ruhige Gemütsstimmung«, die es brauche, um die leisen Töne aus dem Uterus hören und richtig interpretieren zu können. Die Hebammen hatten es damals nicht leicht. Sie drohten, wie viele der aus dem Mittelalter stammenden Gesundheitsberufe – die Knocheneinrenker, Bader und Pillendreher – mit der Professionalisierung des Gesundheitswesens unterzugehen und durch Ärzte ersetzt zu werden.

Aber die Hebammen konnten sich und ihr Berufsbild im 19. Jahrhundert damit retten, dass sie die neuen Entwicklungen der Geburtshilfe rasch übernahmen und in ihre Ausbildung und berufliche Praxis einbauten – die Prinzipien der Antisepsis, die Leopoldschen Handgriffe und eben auch die fetale Auskultation. Die Nachfolgerinnen jener Hebammen, die vor 150 Jahren um das Hörrohr gekämpft hatten, stehen nun, im Gegensatz zu ihren französischen, niederländischen, britischen und schwedischen Kolleginnen, der logischen Fortsetzung des Hörrohrs, dem Ultraschall, höchst skeptisch und ablehnend gegenüber.

 

Point-of-care-Ultraschall

 

Das hat mit der merkwürdigen, auf die Eugenik und daraus resultierende Haftungsfragen fokussierten Situation des Ultraschalls in der deutschen Schwangerschaft zu tun: In der Abrechnungstechnik, der Wahrnehmung und der gelebten Praxis dient er nahezu ausschließlich der Pränataldiagnostik von Fehlbildungen. Das Schlimmste, was einem ultraschallenden Gynäkologen beziehungsweise einer Gynäkologin passieren kann, ist, dass er oder sie eine fetale Fehlbildung übersieht, mit der das Kind dann zur Welt kommt. Wenn die Eltern klagen, wird ein Experte feststellen, dass man die Fehlbildung beim Ultraschall hätte erkennen und die Schwangerschaft »rechtzeitig« mittels eines Schwangerschaftsabbruchs hätte beenden können. Da dies nicht passiert ist, muss der Gynäkologe nun ruinöse Entschädigungs- und Unterhaltszahlungen leisten.

Nun ist Ultraschall in der Schwangerschaft wesentlich mehr als die Fehlbildungsdiagnostik im 3-Stufenschema der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin, kurz DEGUM. Ultraschall ist weltweit zu einer »Point of care«-Technik geworden, etwas, was man Minuten nach dem Erstkontakt mit der Schwangeren ohne lange Zuweisungs-Dienstwege und Wartelisten einfach einsetzt.

Wenn eine Schwangere mit Symptomen zu einer Stätte der medizinischen Versorgung kommt, wird ihr schon lange nicht mehr ein Zentimeter-Maßband auf den Bauch gehalten, sondern ein Ultraschallkopf. Man sieht dabei eine Menge – ob das Kind lebt, wie es liegt, ob Fruchtwasser vorhanden ist, wo die Plazenta liegt. Kein Vergleich freilich mit der Ultraschall-Feindiagnostik, mit deren Hilfe an einem hochmodernen Gerät durch perfekt ausgebildete und zusatzqualifizierte GynäkologInnen mit sehr viel Zeit jeder fetale Nierenkelch und jede Kleinhirnwindung einzeln vermessen und dokumentiert wird. – Das hat zum richtigen Zeitpunkt seinen Stellenwert, doch handelt es sich dabei nicht um die Informationen, die bei Symptomen in der Schwangerschaft gefragt sind.

 

Ultraschallanwendung als Profession

 

Was spricht dagegen, dass eine Hebamme bei einer Schwangeren, die um 3 Uhr morgens mit Schmerzen und fehlenden Kindesbewegungen in den Kreißsaal kommt, zuallererst mit einer zweiminütigen Ultraschalluntersuchung feststellt, ob das Kind lebt, wie es liegt, wie und wo die Plazenta liegt, ob und wie viel Fruchtwasser vorhanden ist? Derzeit muss sie dafür den diensthabenden Assistenten oder die Assistentin holen, der oder die dann der Hebamme die Befunde diktiert. Warum soll die Hebamme in Deutschland und Österreich nicht einfach selbst einen Ultraschallkopf in die Hand nehmen?

Auch in den Ländern, in denen Hebammen längst den Ultraschall durchführen, hatten die Ärzte zunächst vor einem drohenden Massensterben von Schwangeren und Wöchnerinnen gewarnt, wenn auch nur eine Hebamme einen Ultraschallkopf in die Hand nähme. Die Argumente waren ganz ähnlich wie vor 150 Jahren, als man den Hebammen das Hörrohr verbieten wollte.

Mittlerweile gibt es in Großbritannien das Berufsbild des »midwife sonographer«, in den Niederlanden führt der Königlich-niederländische Hebammenbund (KNOV) seit 2007 ein »Echoregister«, in dem sich Hebammen, die in der Berufsausübung »schallen«, eintragen müssen. In den Niederlanden gibt es auch Hebammen, die sich ganz auf Ultraschalldiagnostik spezialisiert haben und ihre Dienste in Gemeinschaftspraxen unter dem Begriff »verloskunde & echoscopie« anbieten. In Frankreich bieten die medizinischen Fakultäten der Universitäten eigene Ultraschallspezialisierungskurse für Hebammen in mehreren Modulen an – »échographie obstétricale destinée aux sages-femmes«. Diese können mit einem Diplom abgeschlossen werden.

 

Nicht einfach, aber machbar …

 

Die Hebammen werden in den nächsten Jahren, wenn in den Kreißsälen die Ärztinnen und Ärzte ausbleiben, zunehmend mehr zu tun haben. Mit der Verweiblichung der Gynäkologie ist ein Rückzug in die Nischen des Faches zu beobachten, wo man halbtags Wechseljahresbeschwerden und Haarausfall behandelt, ohne jemals mehr eine Nacht im Kreißsaal stehen zu müssen. Und dann ist es gut, wenn die Hebammen mit dem Ultraschall umgehen können. Ich habe selbst in den Niederlanden Hebammen im »Schallen« ausgebildet: Nichts stimmt weniger als die alte Macho-Mär, dass Hebammen nicht »schallen« sollten, weil sie als Frauen nicht räumlich denken könnten. Die Frage der gender-spezifischen Schallkompetenz hat sich bei den vielen Gynäkologinnen, die dies hervorragend anwenden, ohnehin nie gestellt ...

Es wird einige Jahre dauern, es gilt viele Widerstände – auch seitens meiner Berufskollegen – zu überwinden. Man muss, wie bei allem in der Medizin, viel lernen und üben, um die Technik zu beherrschen. Man wird Schulungen, Registrierungen und Kompetenznachweise definieren müssen. Aber der erste Schritt ist, dass man sich als einzelne Hebamme und als Berufsgruppe sagt: »Ich lasse mir diese wichtige Technik, die ich für die Betreuung meiner Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen brauche, nicht vorenthalten!« Genauso wie Hebammen 1850 gegen erbitterte Widerstände das Hörrohr erobert haben, müssen sich die Hebammen 2020 den geburtshilflichen Ultraschall aneignen.

Rubrik: Beruf & Praxis | DHZ 11/2018

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