Leseprobe: DHZ 06/2024
Ethik der Sorge

Auch im Notfall selbstbestimmt?

Eine hebammenwissenschaftliche Studie untersucht, ob und wie Frauen in geburtshilflichen Akutsituationen Selbstbestimmung erleben. Für Hebammen und andere Fachkräfte liegt im Spannungsfeld zwischen Handlungsverantwortung, Fürsorge und Schutz der mütterlichen Selbstbestimmung eine große Herausforderung. Denn sie müssen das Ausmaß des Einbezugs individuell anpassen. Katja von Schulthess,
  • Für das Kontrollgefühl und die Selbst - bestimmung von Gebärenden ist das Gefühl wichtig, in Entscheidungsprozesse einbezogen worden zu sein.

Selbstbestimmung ist ein zentrales Element einer frauzentrierten Geburtsbetreuung (ICM, 2014). Sie zu fördern ist, besonders in geburtshilflichen Akutsituationen, eine große Herausforderung (Meyer et al., 2017; Noseworthy et al., 2013; Oelhafen et al., 2021). Gründe dafür sind eingeschränkte Handlungsoptionen und erhöhter Zeitdruck.

Im Forschungsdiskurs wird der Begriff »Selbstbestimmung« vom Begriff »Autonomie« abgegrenzt. In Anlehnung an Andrea Büchler meint Autonomie die grundsätzliche Fähigkeit des Menschen, einen freien Willen zu haben, während Selbstbestimmung die Möglichkeit beschreibt, eigene Handlungsentscheidungen zu realisieren (Büchler, 2017).

Weiter kann Autonomie in relationale Autonomie differenziert werden, was die Relevanz der sozialen Beziehung hervorhebt (Brauer & Strub, 2016; Stoljar, 2018).

 

Selbstbestimmung in der Geburtshilfe

 

Für das Kontrollgefühl und die Selbstbestimmung von Gebärenden ist das Gefühl wichtig, in Entscheidungsprozesse einbezogen worden zu sein. Hebammen und Begleitpersonen kommt dabei eine bedeutende Rolle zu, da sie Entscheidungsprozesse maßgeblich mitgestalten (Bringedal & Aune, 2019; Meyer et al., 2017; Nieuwenhuijze et al., 2014; O’Brien et al., 2017; Vedam et al., 2019; Westergren et al., 2019).

Die Achtung der mütterlichen Selbstbestimmung während der Geburt ist keine Selbstverständlichkeit (Attanasio et al., 2018; Oelhafen et al., 2021). In der Schweiz gaben 26,7 % der Frauen an, während der Geburt informellen Zwang erlebt zu haben. Besonders bei Frauen, die ihr Kind durch eine Sectio caesarea oder vaginal-operativ gebären, sei das Risiko erhöht, informellen Zwang zu erleben (Oelhafen et al., 2021).

In akuten Notsituationen rückt das Kindeswohl für die allermeisten Mütter zu Lasten ihrer Selbstbestimmung in den Vordergrund. Gebärende tendieren dazu, grenzüberschreitendes Verhalten von Fachpersonen in solchen Situationen zu legitimieren (Eckardt, 2020). Dabei ist das Erleben informellen Zwangs mit einem um 35 % erhöhten Risiko für psychische Belastungen im Wochenbett verbunden und hat einen negativen Effekt auf die Zufriedenheit mit dem Geburtserlebnis (Oelhafen et al., 2021). Die eingeschränkten Möglichkeiten mütterlicher Selbstbestimmung in Akutsituationen während der Geburt bedeuten im Umkehrschluss nicht, dass informeller Zwang angewandt wurde (Oelhafen et al., 2021).

Nicht alle Gebärenden möchten gleichermaßen in die Entscheidungsfindung während der Geburt einbezogen werden oder erhalten dadurch ein stärkeres Kontrollgefühl (Büchler, 2017; Green & Baston, 2003; Noseworthy et al., 2013). Vor allem unter Zeitdruck scheinen einige Gebärende zu bevorzugen, die Entscheidungsfindung an Fach- und/oder Begleitpersonen abzugeben (Jung, 2017; Noseworthy et al., 2013; Snowden et al., 2011; Westergren et al., 2019).

Die Ethik der Sorge dient als Rahmenmodell der vorliegenden Untersuchung im Rahmen meiner Masterthesis. Es handelt sich um eine interdisziplinär entwickelte ethische Konzeption, deren Hauptmerkmal der Fokus auf die zwischenmenschlichen Beziehungen ist (MacLellan, 2014; Newnham & Kirkham, 2019). Joan Tronto beschreibt die Ethik der Sorge als vierphasigen Prozess der Sorge (Care) (siehe Abbildung 1). Dazu gehören die folgenden vier ethischen Elemente:

  • Aufmerksamkeit (Attentiveness)
  • Verantwortlichkeit (Responsibility)
  • Kompetenz (Competence)
  • Resonanz (Responsiveness)

(Tronto, 1993).

 

Methodik

 

Die qualitativ deskriptive Studie leistet einen Beitrag zum Selbstbestimmungsdiskurs aus hebammenwissenschaftlicher Sicht. Mit semistrukturierten Leitfadeninterviews wurde die Perspektive von 14 Erstgebärenden in der Deutschschweiz zu ihrer Selbstbestimmung in Akutsituationen erfragt. Einflussnehmende Aspekte auf die erlebte Selbstbestimmung in Akutsituationen sowie deren Relevanz wurden erforscht.

Daraus wurde mit einer deduktiv-induktiven thematischen Analyse nach Virginia Braun und Victoria Clarke abgeleitet, wie Selbstbestimmung in komplexen, risikobehafteten Situationen sinnvoll ausgeübt werden kann (Braun & Clarke, 2006).

Die ethischen Rahmenbedingungen wurden sichergestellt durch die Orientierung an der Helsinki Deklaration (WMA, 2013) und am Leitfaden »Forschung mit Menschen« (SAMW, 2015). Die Studienteilnahme erfolgte freiwillig, unentgeltlich und nach einer informierten Aufklärung über das Ziel und den Zweck des Forschungsvorhabens. Als Ein- und Ausschlusskriterien galten die in der Tabelle aufgeführten Kriterien.

 

Ergebnisse

 

Alle Teilnehmerinnen lebten in einer heterosexuellen Partnerschaft und wurden von ihren Partnern bei der Geburt begleitet. Die Mehrheit war allgemein versichert und wurde von Hebammen und ärztlichen Fachkräfte im Schichtbetrieb betreut. 71,4 % erlebten eine sekundäre Sectio caesarea und 28,6 % hatten eine vaginal-operative Entbindung. Insgesamt war die Anzahl positiv und negativ geschilderter Geburtserlebnisse ausgeglichen.

Aus dem vielfältigen Erleben von Selbstbestimmung in Akutsituationen lassen sich die in Abbildung 2 dargestellten fünf Hauptthemen mit jeweiligen Subthemen als einflussnehmende Aspekte identifizieren. Im Folgenden wird auf die Beziehung zu Fachpersonen, die Informationen in der Akutsituation und die Entscheidungsfindung eingegangen.

Beziehung zu Fachpersonen

Die erlebte Fürsorge der Hebamme beeinflusste das Gefühl von Selbstbestimmung in Akutsituationen. Durch einen zugeneigten Umgang der Hebamme fühlten sich die Gebärenden aufgehoben. Mehrere Frauen schilderten, wie sie in der Akutsituation die Kontrolle über die Geschehnisse abgeben mussten. Aufgrund der fürsorglichen Betreuung empfanden sie dies jedoch nicht als Kontrollverlust.

In engem Zusammenhang mit dem Erleben und der subjektiven Relevanz von Selbstbestimmung in Akutsituationen steht das Vertrauen in die Fachpersonen und deren Kompetenz. Viele Frauen betonten ihre Angewiesenheit auf kompetente Fachpersonen, um in Akutsituationen Entscheidungen zu treffen. Fehlendes Fachwissen und die körperliche und emotionale Grenzerfahrung der Gebärenden waren Gründe dafür. Die vertrauensvolle Abgabe der Verantwortung an die Hebamme oder ärztliche Fachkräfte wurde mehrfach als Erleichterung beschrieben:

»In einer Notsituation finde ich es ganz wichtig, dass Vertrauen in eine Fachperson da ist, dass sie die richtige Entscheidung trifft. Und da bin ich auch bereit, die Entscheidung in dem Moment abzugeben, weil es halt nicht mich betrifft, sondern das Kind. Und das Wissen habe ich einfach nicht in dieser Situation.« (Klara, I11, Pos. 74)

Die Frauen schilderten auch Situationen, in denen die Beziehung zu den Fachpersonen von Misstrauen geprägt war. Eine hinterfragte die Gründe für eine Intervention:

»Aber ich habe zum Beispiel nie ganz getraut, sagen die mir jetzt wirklich, wirklich medizinische Gründe oder sind ökonomische im Hintergrund und ich erfahre es einfach nicht.» (Ida, I09, Pos. 60)

Informationen in der Akutsituation

Ein subjektiv angemessenes Ausmaß an Informationen in der Akutsituation zu erhalten, wurde als zentral beschrieben, um ein Gefühl von Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten. Dabei betonten einige Frauen, dass zu viele Informationen sie beunruhigt hätten:

»Zu viel mitbekommen, finde ich, ist kontraproduktiv für die wo dort liegt und am Gebären ist. Wichtig ist aber trotzdem, dass man das Gefühl bekommt, dass sie weiß, was passiert. Also es darf nicht im Nachhinein sein, dass man gar nicht gemerkt hat, um was das geht. Aber eben, man ist nicht so aufnahmefähig.« (Evelyn, I05, Pos. 26)

Die Dringlichkeit der erlebten Akutsituationen war unterschiedlich und entsprechend auch das Erleben des gewählten Zeitpunkts der Informationsvermittlung. Für die Beratung mit dem Partner oder eine gedankliche Anpassung an eine unverhoffte Situation Zeit zu haben, ermöglichte den Gebärenden ein stärkeres Gefühl von Selbstbestimmung. Mehrere Frauen erlebten es als hilfreich, wenn sie vorbereitend über die regelabweichende Situation informiert wurden, um sich in der Akutsituation nicht übergangen zu fühlen. Diejenigen, die keine vorbereitenden Informationen erhielten, empfanden dies negativ – vor allem, wenn rückblickend Zeit dafür vorhanden gewesen wäre.

Die vermittelten Informationen einzuschätzen, wurde mehrfach als Herausforderung beschrieben. Einerseits nannten die Frauen das fehlende Erfahrungs- und Fachwissen als Erstgebärende und medizinische Laiin, andererseits erwähnten sie, dass die Bedeutung der Informationen zu wenig verständlich gemacht wurde. Auch divergierende Meinungen von Fachpersonen erschwerten es den Frauen, die Gefährdungslage einzuschätzen und selbst Entscheidungen zu Handlungsoptionen zu treffen.

Entscheidungsfindung

Abhängig von der Dringlichkeit der Situation fand ein unterschiedlich ausgeprägter Einbezug in die Entscheidungsfindung statt. Einige Frauen, die über den Geburtsmodus aktiv (mit-)entscheiden konnten, äußerten sich ambivalent über diese Möglichkeit. Der Einbezug in den Entscheidungsprozess führte einerseits zu einem starken Kontrollgefühl, andererseits äußerten die Frauen Überforderung mit der Entscheidungsfindung:

»Ich habe die Entscheidung treffen müssen. Und das ist zum einen ja schön, dass man selbst entscheiden kann und nicht einfach vor vollendete Tatsachen gestellt wird, und zum anderen ist es natürlich eine völlige Überforderung, eigentlich. Also eben, sagt jemand: Ihr Kind ist gestresst, es wäre vielleicht gut, man würde es holen, aber Sie müssen entscheiden, vielleicht können wir trotzdem noch ein wenig warten.« (Debora, I04, Pos. 14)

Das Wohlergehen des Kindes beeinflusste die Entscheidungsfindung und das Erleben mütterlicher Selbstbestimmung in der Akutsituation stark. Durch die Wahrnehmung einer Risikosituation zeigte sich eine veränderte Haltung zur eigenen Selbstbestimmung. Der Fokus verschob sich weg vom eigenen Geburtserlebnis hin zur Gesundheit des Kindes. Dementsprechend wurde in Akutsituationen stets zugunsten des Kindes entschieden. Viele Frauen berichteten, wie ihr gesundes Kind sie – rückblickend betrachtet – über das unerwünschte Geburtserlebnis hinwegtröstete und negativ erlebte Betreuungssituationen abgemildert wurden.

 

Diskussion

 

Die komplexen Anforderungen an die Hebamme im Spannungsfeld zwischen Handlungsverantwortung, Fürsorge und Wahrung der mütterlichen Selbstbestimmung in geburtshilflichen Akutsituationen werden nachfolgend anhand der Konzeption der Ethik der Sorge beleuchtet.

Aufmerksamkeit

Mit der Konzeption der Ethik der Sorge betrachtet, fokussiert das Element der Aufmerksamkeit auf die Fähigkeit der Hebamme, die individuellen Bedürfnisse der Gebärenden wahrzunehmen und darauf einzugehen. In der Informationsvermittlung während der Akutsituation zeigt sich die Relevanz dieses Elements. Das individuell angemessene Ausmaß und der Zeitpunkt von Informationen beeinflussten, wie die Frauen die Informationen einschätzten. Dies prägte die eigene Partizipation am Entscheidungsprozess und damit das Erleben von Selbstbestimmung.

Von der Hebamme wird die Sensibilität verlangt, individuell wahrzunehmen, wann die Gebärende wie umfassende Informationen benötigt. Vorbereitende Informationen unterstützten bei den befragten Frauen das Gefühl von Selbstbestimmung in Akutsituationen. Die Schilderungen der Frauen deuten darauf hin, dass nur wenige Situationen so akut sind, dass keine vorbereitenden Informationen möglich wären. Wird dieser Umstand ignoriert oder vom grundsätzlichen Nicht-Verstehen der Gebärenden ausgegangen, ohne sich um eine adressatengerechte Information zu bemühen, zeugt dies von einer paternalistischen Haltung, die eine frauzentrierte Begleitung verhindert (Hunter, 2017; Maputle & Donavon, 2013).

Verantwortlichkeit

Verantwortlichkeit bedeutet, dass sich die Hebamme dafür verantwortlich fühlt, sich bestmöglich um die Gebärende zu kümmern. Trotz der zu erwartenden Selbstverständlichkeit dieses Elements, legen die Ergebnisse dieser Studie sowie jene aus internationaler Forschung (Begley et al., 2019; Jung, 2017; Oelhafen et al., 2021; Vedam et al., 2019; Villarmea & Kelly, 2020) nahe, dass die Haltung in der Praxis nicht immer zufriedenstellend umgesetzt wird oder werden kann.

Die enge Koppelung von Selbstbestimmung mit Verantwortungsübernahme wird in der Geburtshilfe besonders deutlich durch die Verantwortung der Gebärenden für sich selbst wie auch für ihr ungeborenes Kind. Die von den Frauen beschriebene körperliche und emotionale Grenzerfahrung in Akutsituationen erschwerte es oft, kognitive Entscheidungen zu treffen. Fehlten explizite fachliche Empfehlungen, beschrieben sie Überforderung mit der Entscheidungsfindung und der Verantwortungsübernahme.

Es wird klar, dass Erstgebärende in Akutsituationen auf verständliche und klare Empfehlungen der Fachpersonen angewiesen sind und sich von diesen leiten lassen. Tina Jung unterstreicht, dass ein individualistisch gefärbtes Selbstbestimmungsverständnis, wonach Gebärende informiert Entscheidungen während ihres Geburtsverlaufs eigenständig treffen sollten, den Gebärenden eine falsche Verantwortung aufbürde, sie verletzlich für Schuldzuweisungen bei Fehlentscheiden mache und Fachpersonen aus deren Verantwortung ziehe (Jung, 2017). Die von der Hebamme wahrgenommene Verantwortung ist also eine wichtige Voraussetzung für das Erleben von Selbstbestimmung in geburtshilflichen Akutsituationen. Fachpersonen sind gefordert, das Ausmaß des Einbezugs individuell angemessen zu gestalten.

Kompetenz

Das dritte Element, die Kompetenz, beschreibt die konkrete und individuell angepasste Handlung der Hebamme auf ein Bedürfnis der Gebärenden, wodurch ein Gefühl von Sicherheit entsteht. Vertrauen in die Hebamme und ihre Expertise ermöglichte es den Gebärenden, loszulassen, und stärkte gleichzeitig ihr Kontrollgefühl. Das bestätigen die Ergebnisse dieser Studie und andere Untersuchungen, die sich nicht auf Akutsituationen beziehen (Namey & Lyerly, 2010).

In der Abhängigkeit der Gebärenden von der Kompetenz der Hebamme zeigt sich ihre Vulnerabilität. Diese offenbart sich auch im potenziellen Einsatz der sogenannten Dead Baby Card (Begley et al., 2019; Oelhafen et al., 2021; Villarmea & Kelly, 2020). Der Ausdruck beschreibt, wenn Fachpersonen die Tatsache ausnutzen, dass die Gesundheit ihres Kindes für Gebärende oberste Priorität hat (Eckardt, 2020; Meyer et al., 2017; O’Brien et al., 2017; Yuill, 2020) und sich folglich kaum eine Mutter einer Empfehlung widersetzt, die zum (vermeintlichen) Schutz ihres Kindes ausgesprochen wird.

Für Gebärende in Akutsituationen ist es beinahe unmöglich zu differenzieren, ob Fachpersonen diese Tatsache zugunsten von ökonomischen oder persönlichen Interessen ausnutzen oder die Empfehlung zu einer Intervention auf kompetenter fachlicher Einschätzung basiert. Die Vulnerabilität verstärkt sich durch das Studienergebnis, dass ein gesundes Kind die Frauen rückblickend über das unerwünschte Geburtserlebnis hinwegtröstet.

Die Gebärende ist darauf angewiesen, dass die kompetent agierende Hebamme sie mit und in der Entscheidungsfindung weder überfordert noch bevormundet noch ihre Verletzlichkeit ausnutzt.

Resonanz

Für eine gelungene Umsetzung der Ethik der Sorge kommt dem vierten Element, der Reaktion der Gebärenden auf den Care-Prozess, eine Schlüsselfunktion zu. Erst durch die Beurteilung der professionellen Handlungen durch die Gebärende wird der Erfolg der Ethik der Sorge sichtbar. Diese Beurteilung wird mitunter durch das Geburtserlebnis und die Erwartungen der Gebärenden beeinflusst (Hodnett, 2002; O’Brien et al., 2017; Oelhafen et al., 2021).

Wie wichtig ein respektvoller und gleichermaßen partnerschaftlicher wie fürsorglicher Umgang der Hebamme mit der Gebärenden für deren Gefühl von Selbstbestimmung in Akutsituationen ist, wird in dieser Studie deutlich. Die Ergebnisanalyse lässt den Schluss zu, dass eine positiv bewertete Beziehungsgestaltung zwischen Gebärender und Hebamme eine temporäre Unsicherheit aufgrund nicht einschätzbarer Informationen eher tolerierbar macht. Dies deutet auf die große Relevanz der Beziehungsgestaltung für die Informationsvermittlung hin.

 

Schlussfolgerung

 

Die Ergebnisse dieser Studie bekräftigen, dass Selbstbestimmung in geburtshilflichen Akutsituationen in einem relationalen Autonomieverständnis zu betrachten ist. Ein Gefühl von Selbstbestimmung in Akutsituationen ist möglich, wenn eine klar vermittelte und nachvollziehbare Expert:innenmeinung und tragfähige Beziehung zur Hebamme vorhanden sind. Hierfür ist ein sensibel und individuell gestaltetes Gleichgewicht zwischen fachlicher Führung und Einbezug der Gebärenden relevant. Fachpersonen sollen sich ihrer Führungsverantwortung genauso bewusst sein wie ihrer Verantwortung, einen inkludierenden Umgang mit der Gebärenden zu pflegen. Diese Anforderungen entsprechen einer frauzentrierten Geburtsbetreuung und der Konzeption der Ethik der Sorge.

Die Ethik der Sorge bildet eine hilfreiche Handlungsgrundlage für Hebammen, um eine frauzentrierte Geburtsbetreuung in Akutsituationen zu realisieren und dadurch positive Geburtserlebnisse zu fördern. 

Rubrik: Geburt | DHZ 06/2024

Literatur

Attanasio, L. B., Kozhimannil, K. B., & Kjerulff, K. H. (2018). Factors influencing women’s perceptions of shared decision making during labor and delivery: Results from a large-scale cohort study of first childbirth. Patient Education and Counseling, 101(6), 1130–1136. https://doi.org/10.1016/j.pec.2018.01.002

Begley, K., Daly, D., Panda, S., & Begley, C. (2019). Shared decision-making in maternity care: Acknowledging and overcoming epistemic defeaters. Journal of Evaluation in Clinical Practice, 25(6), 1113–1120. https://doi.org/10.1111/jep.13243

Brauer, S., & Strub, J.-D. (2016). Autonomie und Beziehung. Selbstbestimmung braucht das Gegenüber (Tagungsbericht 12; Autonomie in der Medizin). Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften. https://www.samw.ch/de/Publikationen/Berichte.html
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