Klug investiert

Als junge Erwachsene gestaltete ich die damalige feministische Bewegung mit. Wir schrieben Pamphlete gegen das Patriarchat, entwickelten feministische Theorien und witzelten öffentlich über Menstruationsschwämmchen. Wir demonstrierten nachts in der Stadt gegen unsere Angst, im Dunkeln rauszugehen, und übten uns in Selbstverteidigung. Wir sprachen oft auch zum ersten Mal über die Gewalt, die wir erlebt hatten – fast jede von uns. Wir betrachteten Diavorträge über die Vielfalt von Vulven und bemalten unsere Brüste und Bäuche mit bunten Blumenranken oder Drachinnen. Aus dieser Zeit großer Nähe und Solidarität zwischen uns Frauen habe ich viel Kraft für mein weiteres Leben mitgenommen.

Später wandten wir uns unseren individuellen Wegen zu, unseren Berufen, Beziehungen und Familien, und die feministische Welle schien zu verebben. Wir politischen Frauen von damals sind den »Gang durch die Institutionen« gegangen, gründeten Frauen- und Mädchenhäuser, Beratungsstellen und Vereine, erkämpften Gleichstellungsstellen und Professuren.

Lange Zeit vermisste ich diese Frauenkreise und das besondere Gefühl von Solidarität und Schwesterlichkeit, aber es gibt neue Netzwerke, die mich weitertragen. Meine wunderbare Therapeutin, mein Frauenstammtisch, die Kolleg:innen in meinen Fortbildungen oder die Mitstreitenden in den Verbänden inspirieren und bestärken mich.

Wir Feminist:innen von damals haben zwar mit unserer Arbeit meist keine Aktienpakete horten können – aber wir haben dennoch klug investiert. Denn unsere Kinder zeigen uns, dass es mit und in ihnen weitergeht. Sie sind zu nachdenklichen Menschen herangewachsen, die sich für Umwelt, Frauen- und Menschenrechte, Diversität und eine lebenswerte Zukunft einsetzen. Sie sind emotional starke, oft sehr gut ausgebildete Menschen und zärtliche sensible Partner:innen geworden. Sie wurden zu Frauen, die beim Gebären ihre Wünsche äußern und zu Partner:innen, die weinen und mit ihren Neugeborenen kuscheln. Nachhaltige Veränderung geschieht eben über Generationen hinweg. Auch das ist politisch!

 

 

Rubrik: Immer in der DHZ | DHZ 12/2022

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