Hebammenvergütung

Falsche Vergleiche

Was zahlen die Kassen je Geburt? In der öffentlichen Diskussion über die Bedingungen der geburtshilflichen Versorgung operiert der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) mit falschen Zahlen und missverständlichen Vergleichen. Monika Selow

Medien und Öffentlichkeit diskutieren über Hebammenmangel, Klinikschließungen und den Sicherstellungszuschlag für Hebammen, der ihre Belastungen durch steigende Haftpflichtprämien abfedern soll. Und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) veröffentlicht in Presseerklärungen und auf seiner Homepage Zahlen, die den Eindruck erwecken sollen, es wäre – entgegen der öffentlichen Wahrnehmung – alles bestens. Schon seit längerem gibt er die Anzahl der freiberuflichen Hebammen mit und ohne Geburtshilfe falsch an, indem er als Quelle lediglich die Vertragspartnerliste der Hebammen benutzt, ohne dabei zu erwähnen, dass die dort ablesbaren Zahlen nur sehr bedingt aussagekräftig sind, weil Aktualisierungen der Leistungsbereiche der Hebammen und des Arbeitspensums fehlen.

Der Sicherstellungszuschlag, der einen Teil der Haftpflichtkosten für Hebammen mit Geburtshilfe ausgleicht, wird neuerdings zur „Grundsicherung" umdeklariert. Dabei wird billigend in Kauf genommen, dass der Begriff an die Grundsicherung im Alter erinnert, welche die Befriedigung der Grundbedürfnisse nach Wohnung, Nahrung und Teilhabe sicherstellen soll. Der Sicherstellungszuschlag ist jedoch nur ein Ausgleich für zwangsläufig entstehende Kosten, der keinerlei Verdienstanteil enthält. Im „Thema Hebammenvergütung" auf der Homepage des GKV-SV wird behauptet, dass zum Haftpflichtausgleich zwischen 3.270 Euro für ein halbes und 6.540 Euro für ein ganzes Jahr überwiesen würden. An anderer Stelle wird die Prämienhöhe der DHV-Gruppenversicherung benannt: „Seit 1. Juli 2015 kostet die Berufshaftpflichtversicherung für freiberufliche Hebammen mit Geburtshilfe 6.274 Euro (Betrag für 12 Monate)." Dadurch entsteht der Eindruck, die Berufshaftpflichtprämie würde mehr als vollständig ausgeglichen. Dass die angegebene Erstattungssumme sich jedoch auf eine ganz andere Prämienhöhe als die bezifferte bezieht, wird unterschlagen.

 

Keine Quellen, keine Details

 

Richtig dreist wird es, wenn die angeblichen Kosten für Geburten zu Hause und im Geburtshaus den Kosten für eine Geburt in der Klinik gegenübergestellt werden. Quellen und Angaben zur Art der Preisberechnung bleibt der GKV-SV dabei schuldig. Tatsächlich liegt die Vergütung der Hebammen deutlich unter den Angaben des GKV-SV, während die Vergütung der Klinik deutlich darüber liegt. Möglich ist, dass bei der außerklinischen Geburt alle denkbaren Zusatzleistungen wie Wegegeld, Materialpauschale oder Dammnaht eingerechnet wurden, während für die Klinik beispielsweise die Kosten für die Beleghebamme, den Belegarzt und weiteres nicht berücksichtigt wurden. Nachvollziehen lässt sich diese Vermutung jedoch nicht.

Die Tabelle stellt die Angaben des GKV-SV den Zahlen gegenüber, die sich aus der Vergütungsvereinbarung des Vertrages über die Versorgung mit Hebammenhilfe nach § 134a SGB V und den DRGs ergeben, die die Klinik berechnet. Ein echter Kostenvergleich wäre nur möglich, wenn man die Fallkosten detailliert auswerten würde in Bezug zur Häufigkeit der Abrechnung der einzelnen DRG, der Zusatzentgelte und der Gesamtkosten, die sich in den verschiedenen Leistungsbereichen sektorübergreifend und unter Berücksichtigung der Folgekosten ergeben. Gesamtkosten liegen nur für Hebammenhilfe vor, während die Kosten für den Klinikaufenthalt von Mutter und Kind in den Gesamtkosten für den Klinikbereich untergehen.

Folgende Zahlen, die sich aus der Abrechnungshäufigkeit der DRGs und der Perinatalerhebung der Kliniken ergeben, sollten zu denken geben:

  • Die Rate der Spontangeburten liegt gemäß der Perinatalerhebung bei 60 Prozent. Die DRG für die normale vaginale Geburt ohne Komplikationen wird jedoch nur in weniger als 35 Prozent der Fälle abgerechnet. In den restlichen Fällen handelt es sich um Kaiserschnitte und vaginale Geburten mit „komplizierenden Diagnosen", deren Kosten für die vaginale Geburt (ohne Frühgeburten) über 4.000 Euro liegen können.
  • Nur etwa drei Viertel der Neugeborenen werden mit der DRG für das gesunde reife Neugeborene abgerechnet. Für die restlichen Kinder über 2.500 Gramm Geburtsgewicht werden DRGs mit Beträgen bis zu 11.300 Euro berechnet (und dieser Preis ergibt sich sogar ohne die noch höher liegenden DRGs für intensivmedizinisch zu betreuende Frühgeburten, auch ohne Beatmung und beispielsweise Herz-OP).
  • Wie oft nach den Regeln für die ambulante Geburt abgerechnet wird, lässt sich aus den Abrechnungsdaten schwer sagen. Die Perinatalerhebung weist ambulante Geburten nicht mehr aus. Sie gibt eine Rate von 3 Prozent der Frauen mit einer postpartalen Verweildauer von null Tagen an, jedoch rund 22 Prozent mit einer Verweildauer von einem bis zwei Tagen. In Anbetracht der beobachteten Tendenz, die Frauen in der Klinik zu halten, bis die DRG für das Neugeborene geltend gemacht werden kann, ist davon auszugehen, dass der Wunsch der Frauen nach einer ambulanten Geburt in der Klinik schwerer verwirklicht werden kann als zu Hause oder im Geburtshaus. Die mittlere Verweildauer in der Klinik beträgt nach normaler vaginaler Geburt ohne Komplikationen 3,2 Tage.
  • Die häufigste Indikation für die primäre Sectio ohne Komplikationen ist der Zustand nach Sectio. Kaiserschnitte mit Komplikationen können bis zu 8.700 Euro kosten.

Kosten sind nur in Zusammenhang mit der dahinterstehenden Leistung zu beurteilen und zu vergleichen. Sowohl in den Kliniken, als auch im ambulanten Bereich ist die Geburtshilfe so unterfinanziert, dass ein akuter Personalmangel vorliegt und geburtshilfliche Abteilungen massenhaft geschlossen werden. In Kliniken ist die parallele Betreuung von zwei und mehr Frauen in der sensiblen Phase der Geburt inzwischen die Regel. Sowohl klinisch wie außerklinisch fehlen Hebammen, um den Bedarf der Frauen an Hebammenhilfe und Unterstützung in der Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett zu decken.

Die vermeintliche „Optimierung" der Geburtshilfe unter kurzfristig sichtbaren wirtschaftlichen Gesichtspunkten wird teuer erkauft durch Folgekosten, die sich erst später bemerkbar machen und durch Unzufriedenheit der Frauen mit den Umständen, unter denen sie gebären. Die Gesamtkosten der Geburtshilfe werden nicht gesenkt, indem man die normale Geburt finanziell vernachlässigt zugunsten technisch-medizinischer Interventionen, sondern indem man dafür sorgt, dass die normale Geburt häufiger vorkommt und technisch-medizinische Interventionen (inklusive der darauf folgenden Interventionskaskaden) seltener notwendig sind. Dies ist nur zu erreichen, indem die Qualität der Versorgung in einer Eins-zu-eins-Betreuung sowohl in der Klinik wie auch außerklinisch nebst einer angemessenen und verfügbaren Betreuung vor und nach der Geburt sichergestellt wird.

Vergleiche und Kostenrechnungen sind legitim und notwendig. Vereinfachungen und mit Taschenspielertricks zusammengestellte, irreführende Darstellungen werden dem Thema jedoch nicht gerecht.

Rubrik: QM, Politik & Gesellschaft | DHZ 04/2016

Literatur

AQUA –Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH: Bundesauswertung zum Erfassungsjahr 2014, 16/1 – Geburtshilfe, Qualitätsindikatoren: https://www.sqg.de/downloads/Bundesauswertungen/2014/bu_Gesamt_16N1-GEBH_2014.pdf (letzter Zugriff: 10.3.2016)

GKV-SV: Hebammen und Geburten. https://www.gkv-spitzenverband.de/presse/zahlen_und_grafiken/gkv_kennzahlen_hebammen/gkv_kennzahlen_hebammen_1.jsp#lightbox (letzter Zugriff: 10.3.2016)

GKV-SV: Thema: Hebammenvergütung. https://www.gkv-spitzenverband.de/presse/themen/hebammenverguetung/thema_hebammen.jsp#pagd-0-1 (letzter Zugriff: 10.3.2016)
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