Pflicht zur Geburtshilfe im Notfall?
Der Deutsche Hebammenverband (DHV) hat vor zwei Jahren noch klargestellt: »Jede Hebamme hat das Recht und die Pflicht zu entscheiden, auf welche Situation sie sich einlässt. (…). Hebammen sollten daher ihre persönlichen und rechtlichen Grenzen kennen und wahrnehmen.« (Knobloch & Almer 2016) Einige Kolleginnen berichteten jüngst allerdings, ihnen sei bei QM-Fortbildungen anderes vermittelt worden: Der aktuelle Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe verpflichte nun jede freiberufliche Hebamme dazu, stets eine Tasche für eine ungeplante außerklinische Geburt vorzuhalten – auch wenn Geburtshilfe eigentlich nicht zu ihrem Leistungsspektrum gehöre.
Richtig ist, dass eine freiberufliche Hebamme die Materialien vorhalten muss, die sie für ihr Leistungsspektrum braucht. Gehört Geburtshilfe nicht dazu, so muss sie dafür auch keine Ausrüstung bereithalten (Jahn-Zöhrens 2018). Die Hebamme muss zudem nur für die Frauen in angemessenem Umfang erreichbar sein, mit denen sie vorab eine entsprechende Vereinbarung getroffen hat (Selow 2015a, 2015b). Sie ist also nicht verpflichtet, für andere Frauen jederzeit erreichbar und abrufbar zu sein. Und dem Ruf zu einer ungeplanten außerklinischen Geburt muss sie nicht folgen (Jahn-Zöhrens 2018, siehe auch DHZ 9/2018, Thema Alleingeburt; Franzke 2017; Seehafer 2017; Wiemer 2017a; Wiemer 2017b).
Situationsbezogen ergeben sich jedoch Hilfepflichten in unterschiedlichem Umfang. Wenn eine Hebamme zufällig anwesend ist, während eine Schwangere beispielsweise im Supermarkt einen Blasensprung hat oder eine Nachbarin von der Geburt überrascht wird, ruft sie den Rettungsdienst und leistet Hilfe, bis die Frau anderweitig versorgt wird. Dies kann eine ungeplante außerklinische Geburt einschließen. Die notwendigen Materialien stellt in diesem Fall der Rettungsdienst.
Kommt es in besonderen Situationen, wie während eines Fluges zu einer Geburt, so muss die Hebamme im Rahmen ihrer Möglichkeiten bis zur Landung Hilfe leisten. Ruft aber zum Beispiel ein ihr unbekannter Mann an, um sie zu einer angeblichen Geburt bei einer ihr unbekannten Frau zu holen, so genügt die Empfehlung, sich direkt an einen Rettungsdienst zu wenden. In diesem Fall wäre es ein fehleranfälliger Zeitverlust, wenn sie selbst erst die Kontaktinformationen aufnehmen würde, um sie dem Rettungsdienst weiterzuleiten (Knobloch & Almer 2016).
In allen Fällen dokumentiert die Hebamme die Sachverhalte, Zeiten und Maßnahmen.
Der Auditbogen – nur eine Anlage zum Vertrag
Welche QM-Anforderungen schreibt der Vertrag tatsächlich vor? Nach Aussage des Rechtsanwalts Dr. Sebastian Almer aus der Kanzlei Ulsenheimer & Friederich ergeben sich aus einer Vergütungsvereinbarung keine Hilfepflichten (Almer 2018).
Die Annahme, der Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe würde dazu verpflichten, entstand vermutlich, weil im Auditbogen zum Vertrag (GKV 2017a) die Frage gestellt wird: »Bin ich auf das Vorgehen bei ungeplanter Hausgeburt vorbereitet?« Der Auditbogen ist aber nur eine Anlage zum Vertrag. Hebammen müssen gesetzliche Grundlagen und Anforderungen erfüllen, die sich im Vertragstext zu ihrem angebotenen Leistungsspektrum und ihrer Organisationsform wiederfinden. Dort findet sich die Anforderung zur Ausrüstung und zu Hilfepflichten für ungeplante Leistungen nicht.
Einige Anbieter von QM-Systemen machen es sich einfach, wenn das von ihnen angebotene QM-System so aufgebaut ist, dass beim Audit im Auditbogen alle Fragen mit »erfüllt« beantwortet werden können. Dabei berücksichtigen sie nicht, dass der Vertrag nach bestimmten Hebammengruppen differenziert: alleine arbeitend oder im Team, mit oder ohne Geburtshilfe. Die Mindestanforderungen finden sich in Anhang 3a zur Anlage 3 unter Punkt II. »Vorhaltung und Pflege von Informationen/Unterlagen im QM-Handbuch der freiberuflichen Hebammen (Definition der Mindestanforderungen)« (GKV 2017b).
Es ist also keine »Abweichung« und erst recht keine »kritische Abweichung« (siehe auch DHZ 11/2017), wenn eine Hebamme, die keine Geburtshilfe anbietet, die Frage nach der Vorbereitung für die ungeplante Hausgeburt mit »Nein« beantwortet. Für Hebammen, deren Leistungsspektrum Geburten im Geburtshaus umfasst und die zum Geburtsbeginn bei der Frau zu Hause zunächst feststellen, ob sie ins Geburtshaus wechseln sollte, ist die Vorbereitung auf eine ungeplante Hausgeburt gemäß Ergänzungsvertrag für die Übernahme der Betriebskosten jedoch vorgesehen und sinnvoll. Ähnlich kann dies für Begleit-Beleggeburten gesehen werden, auch wenn es sich nicht explizit aus den Vertragstexten ergibt.
Resümee für die Praxis
Sinnvoll für die Zukunft wären nähere Angaben dazu, welche Bestandteile eines QM-Handbuches für welche Hebammengruppen verbindlich sind. Gestrichen werden sollten Fragen im Auditbogen, für die es weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Grundlage gibt.
Literatur
Almer S: Persönliche Mitteilung vom 17.5.2018
Ergänzungsvertrag nach § 134 a SGB V über Betriebskostenpauschalen bei ambulanten Geburten in von Hebammen geleiteten Einrichtungen und die Anforderungen an die Qualitätssicherung in diesen Einrichtungen: Fassung vom 27.6.2011
Franzke B: Alleingeburt abgewendet. DHZ 2017. 69 (9): 32–33
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