Lübecker interprofessioneller Perinatalkongress

Gemeinsam sind wir besser!

Es war der erste Kongress für alle Fachleute rund um die Geburtshilfe, veranstaltet von der Universität zu Lübeck, dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und dem Elwin Staude Verlag. Das Motto des interprofessionellen Lernens und Arbeitens ging in dem vielschichtigen Programm mit VertreterInnen von Ärztinnen, Frauen und Hebammen voll auf. Birgit Heimbach, Dr. Angelica Ensel, Elisabeth Niederstucke
  • Die Fragen aus dem Publikum ermuntern zu fachlichem Austausch und Diskussion.

  • Prof. Dr. Achim Rody, Prof. Dr. Christiane Schwarz und Prof. Dr. Egbert Herting

  • Anke Bertram und Prof. Dr. Achim Rody

  • Dr. Katharina Hartmann

  • Prof. Dr. Peter Kozlowski

  • Prof. Dr. Jason Gardosi

  • Prof. Dr. Rainhild Schäfers

  • Peggy Seehafer

  • Christiane Schwarz (r.) gratuliert den Gewinnerinnen des Posterwettbewerbes.

  • Britta Zickfeldt und Dr. Alex Mommert

  • Prof. Dr. Mario Rüdiger

Die VeranstalterInnen begrüßten die rund 500 Teilnehmenden beim ersten Lübecker Interprofessionellen Perinatalkongress mit den Worten des Altkanzlers Willi Brandt zum Mauerfall 1989: »Es wächst zusammen, was zusammengehört.« Begrüßt wurden die TeilnehmerInnen von Prof. Dr. Christiane Schwarz, Hebamme und Studiengangsleiterin im Lübecker Bachelorstudiengang Hebammenwissenschaften, Prof. Dr. Achim Rody, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Uniklinikum Schleswig Holstein (UKSH), Campus Lübeck, und Prof. Dr. Egbert Herting, Direktor der dortigen Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. Sie eröffneten damit eine Vision, die am 6. und 7. September im Audimax der Universität zu Lübeck in engagierten Vorträgen, Wortmeldungen und respektvollen Diskussionen greifbar wurde. Dr. Alex Mommert, der an der Uni Lübeck für die Interprofessionalisierung zuständig ist, moderierte gelassen durch das Programm. Immer wieder waren auf dem Kongress auch Abwandlungen des Mottos zu hören, beispielsweise von der Vorsitzenden des Hebammenverbandes Schleswig-Holstein Anke Bertram: »Gemeinsam sind wir stärker!«

Interprofessionalität von Medizin und Gesundheitsfachberufen wird auf dem Campus in Lübeck schon länger gelehrt und gelebt. Neben dem Bachelorstudiengang Hebammenwissenschaft sind dort bereits Bachelorstudiengänge für Pflege, Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie vertreten. Es gibt Module, in denen alle Studierenden gemeinsam lernen. So wachse nicht nur hochprofessioneller Nachwuchs heran, sondern auch interprofessionelle Kompetenz, lobten die VeranstalterInnen schon vorweg das Lernkonzept in Lübeck.

Für ihr Bundesland sprach Bertram vom »Gebären zwischen den Meeren«: Die Lage des Landes mit seinen vorgelagerten Inseln und Halligen sowie seiner besonderen Versorgungssituation rückten in den Vorträgen immer wieder in den Blick. Dazu lieferte kurz darauf Prof. Dr. Herting in seinem spannenden Vortrag über die perinatalmedizinische Versorgung im wenig bevölkerten Schweden das Pendant. Und auch der Gesundheitsminister von Schleswig-Holstein, Dr. Heiner Garg, ging in seinen Grußworten aus politischer Warte auf die Optimierung der geburtshilflichen Versorgung ein. Neue Möglichkeiten der Telemetrie stimmten ihn recht optimistisch. Angesichts von 35 Studienplätzen für den Hebammennachwuchs in Lübeck könne das Land seinen eigenen Nachwuchs sichern, meinte der Minister.

WissenschaftlerInnen, Lernende und PraktikerInnen zeigten ihr breites Wissen auf den Postern, die sie am ersten Abend präsentierten. Die Autorinnen der vier besten Poster wurden am zweiten Tag auf der Bühne mit einem Preis geehrt.

 

Sichere Geburt – die Perspektive der Frauen

 

Wenn über die Schließung kleinerer geburtshilflicher Abteilungen diskutiert wird, ist Sicherheit in der geburtshilflichen Versorgung ein zentrales Thema. Was aber bedeutet eine sichere Geburt für die Frauen? Dieser Frage widmete sich die Romanistin Dr. Katharina Hartmann von der Bundeselterninitiative Mother Hood e. V. In ihrem Vortrag spielte sie aus der Sicht der Schwangeren die verschiedenen Optionen für die Wahl des Geburtsorts in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein durch. Ihre Antwort zeigte viele Widersprüche auf: Vielen Frauen würde ein Perinatalzentrum als sicherer Geburtsort erscheinen, da man hier »für alle Fälle« gut ausgerüstet sei. Tatsächlich würden die meisten Gebärenden dort aber eher überversorgt – sie erhielten unnötige Interventionen. Gleichzeitig würden viele Frauen unterversorgt, weil sich das Personal um die Risikoschwangeren und -gebärenden kümmern müsse, während Frauen ohne Risiko keine angemessene Geburtsbegleitung erhielten.

Auf der anderen Seite gebe es Frauen, die kleinere Häuser bevorzugten, weil sie sich dort wohler fühlten. Dass Mütter, die in Kliniken mit einer niedrigeren Geburtenrate geboren haben, tendenziell zufriedener sind, habe auch der Picker-Report aus dem Jahr 2017 bestätigt. In Schleswig-Holstein würden 81 % der Frauen ihre Geburtsklinik weiterempfehlen, so das Ergebnis einer Studie von AOK und Barmer in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung. Während die Krankenkassen von einer großen Zufriedenheit der Frauen sprechen, richtete Hartmann ihren Blick auf das Fünftel der nicht zufriedenen Frauen. So stellte sie fest, dass Frauen in Schleswig-Holstein beispielsweise niemanden finden, der eine Spontangeburt bei einer Beckenendlage anbietet. »Warum schneiden sie mich auf, weil sie schlecht ausgebildet sind?«, frage sich dann beispielsweise die Frau.

Sicherheit sei aus der Sicht der Frau sehr individuell und das sei keine glückliche Situation, meinte Hartmann. Die Geburtshilfe sei nicht sicher, »wenn Kliniken geschlossen werden, wenn Kreißsäle plötzlich voll sind und keine Frau mehr zur Geburt annehmen können, wenn Wege weit sind, wenn eine Hebamme drei Frauen gleichzeitig betreut, wenn ungewollte Interventionen durchgeführt werden«. Diesem Szenario des Mangels stellte sie ihr Bild vom sicheren Gebären gegenüber: die Frau in der Mitte, der werdende Vater neben ihr, beide umgeben von Fachkräften, die sie individuell, nach bestem Wissen und mit Rücksicht auf ihre Selbstbestimmungsrechte begleiten. Der große Beifall bestätigte die Resonanz bei den Zuhörenden ebenso wie die anschließende sehr emotionale Diskussion.

 

NIPT – was ist neu?

 

Prof. Dr. Peter Kozlowski, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe und Ultraschallspezialist in eigener Praxis in Düsseldorf, brach in seinem Vortrag eine Lanze für das frühe Ultraschallscreening. Die frühe Organdiagnostik könne bereits in der 12. Schwangerschaftswoche über 50 % der auffälligen anatomischen Besonderheiten erkennen. Aber das Screening sei bei einer unauffälligen Schwangerschaft keine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Dagegen würde die nichtinvasive pränatale Diagnostik (NIPT) – nichtinvasiv im Gegensatz zur Amniozentese – nun allen Frauen bezahlt werden, die dies wünschen. Dabei werden zellfreie DNA-Fragmente des Fetus aus dem Blut von Schwangeren getestet, was zwischen 500 und 1.000 Euro koste.

Kozlowski verglich die Ergebnisse dieses Tests mit der Ultraschalldiagnostik und untermauerte seine These: Ultraschall sei viel mehr als NIPT. Der Fokus dieses Tests sei aber meistens auf die Erkennung von Trisomien ausgerichtet und Eltern würden sich vor allem auf die Trisomie 21 fokussieren. Er riet zur besseren Aufklärung. Einmal sei zu bedenken, ob Trisomie überhaupt »nicht gesund« bedeuten würde. Auf der anderen Seite würden viele gravierende Fehlbildungen durch den Test nicht entdeckt. Sein Vorschlag: zuerst in der 12. Woche die Organdiagnostik per Ultraschall – alles weitere bei Bedarf. Mit sarkastischem Humor wies er darauf hin, dass die Industrie schon den »Heterozygotentest« vorschlage, womit sich Eltern bereits vor einer Schwangerschaft auf Chromosomenanomalien testen lassen können.

Er deutete die Sorge an, dass die Ultraschalldiagnostik in ein schlechtes Licht gerate, seitdem nun veröffentlicht wurde, dass ab 2021 Ultraschall ohne medizinischen Grund verboten sei, weil er eben doch nicht ganz ohne Wirkung auf das Ungeborene sei. »Ultraschalldiagnostiker sollten mehr Werbung für den frühen Ultraschall machen, aber Werbung in eigener Sache sind wir nicht gewohnt«, resümierte der Spezialist.

 

Wachstumretardierungen frühzeitig erkennen

 

Prof. Dr. Jason Gardosi, Direktor vom Perinatal Institut in Birmingham, Großbritannien, sprach in seinem ersten von zwei Vorträgen über interprofessionelle Fallbesprechungen nach perinatalen kindlichen Todesfällen, deren Ursachen bei zwei Dritteln nicht geklärt würden. Er rüttelte auf mit dem lyrischen Satz: »Einige träumen nur von Engeln, manche haben sie im Arm.« Die Fallbesprechungen seien nötig, um nach Ursachen und womöglich nach Fehlern zu suchen. Dabei sei wichtig, dass sie anonymisiert, vertraulich und ohne Schuldzuweisung ablaufen: Meist handele es sich zudem nicht um Fehler eines Einzelnen, sondern um Mängel im System. Der Grad der Vermeidbarkeit sei dabei zu eruieren, ob etwa eine andere Betreuung nicht ein anderes Outcome ergeben hätte. Die Eltern seien in gewissem Maße dabei beteiligt, auch würde ihnen keiner das Recht absprechen, anschließend einen juristischen Weg zu beschreiten. In der Regel aber würden sie nach einer offenen Fallbesprechung darauf verzichten.

Ursache für perinatale Todesfälle sei mitunter eine schlechte vorgeburtliche Risikobewertung, etwa bei Retardierungen. 86 % der Fälle wären bei einer anderen Betreuung vermeidbar gewesen. Gardosi habe deshalb ein Wachstumsprotokoll für die Schwangerschaft entwickelt.

Zunächst erzählte er von einem Projekt, dass die Fédération Internationale de Gynécologie et d'Obstétrique (FIGO) an ihn herangetragen habe: In Moldawien sollte er helfen, die Sterblichkeit von Müttern und Kindern durch gezielte Maßnahmen zu senken. Um die Probleme zu erforschen, führte er ein einheitliches Verfahren ein: das »Standardised Clinical Outcome Review« (SCOR, siehe Link). Damit könnten die Fälle in abstrahierter Form besser analysiert werden. Nachdem Gardosi in Moldawien geklärt hatte, wo die Versorgung verbesserungswürdig war, sei ein Aktionsplan eingeführt worden, der auch zum Ziel geführt und die perinatale und peripartale Sterblichkeit gesenkt hätte.

Doch wie lassen sich fetale Wachstumsretardierungen frühzeitig erkennen und so Totgeburten vermeiden? Das betrachtete Prof. Gardosi in seinem zweiten Vortrag. Dazu sei es notwendig, die »Sprache« des Ungeborenen besser zu verstehen, wenn es Notsignale von sich gebe. Als Sprache bezeichnete er die Messwerte des Größenwachtums. Als praktische Methode entwickelte er eine standardisierte Fundushöhenmessung, die alle drei Wochen spätestens ab der 26. Schwangerschaftswoche erfolgen solle. Nach einer Schulung könnten Hebammen mit einem Maßband sehr genau den exakten Wert ermitteln – ohne Messfehlerabweichung. Ein Routine-Ultraschall in der 32. Schwangerschaftswoche wäre dagegen völlig nutzlos, um einen Verlauf zu bestimmen. Mit dem von Gardosi entwickelten Growth Assessment Protocol (GAP) könne eine genaue optimale Wachstumskurve kalkuliert werden, entsprechend den mit der jeweiligen Nationalität verbundenen Größen von Mutter und Vater. Ein individueller Kalkulator (Individual Centile Calculator: ICC) könne ermitteln, ob ein Kind retardiert sei. Mithilfe einer App könnten Hebammen die kindlichen Daten berechnen lassen (siehe Link). Dies ist allerdings mit Gebühren verbunden, wie sich anschließend in einem Statement einer Hebamme herausstellte, die damit arbeitet.

Eine Grow-App gebe es inzwischen auch für Deutschland. Faktoren, die bei der Berechnung eine Rolle spielen, seien: Größe der Mutter, ihr Gewicht in der frühen Schwangerschaft, ethnische Zugehörigkeit, Parität sowie die Statur des Vaters.

Wenn ein zu kleines Kind ermittelt werde, empfiehlt Gardosi, mit der Schwangeren zusammen nach Möglichkeiten zu suchen, das Wachstum zu verbessern.

 

Intrapartale Überwachung mittels CTG?

 

Ob die CTG-Überwachung sinnvoll sei, fragte Prof. Dr. Christiane Schwarz in ihrem Vortrag. Sie zeigte anhand von beeindruckenden Beispielen, die eine vermeintliche Sicherheit vorgaukelten, wie unsicher die intrapartale CTG-Überwachung sein könne. Die unterschiedliche Bewertung des CTG betreffe nicht nur die verschiedenen Personen und deren Rollen bei der jeweiligen Geburtsbegleitung (Interobservervariabilität), sondern auch die einzelnen Personen: Studien hätten gezeigt, dass dieselbe Person ein CTG nach acht Wochen völlig anders bewerte als bei der ersten Sicht (Intraobservervariabilität). Dass das Wissen über das Outcome einen Unterschied in der Bewertung ausmacht, sei eine bekannte Erfahrung. Und ebenso die Erkenntnis, dass ein schlechtes CTG nicht gleichzusetzen sei mit einem schlechten Outcome, was allerdings umgekehrt genauso gelte.

Dass CTG-Überwachungen zu einer völlig falschen Einschätzung und falschen Entscheidungen führen können, demonstrierte Schwarz anhand der CTG-Aufzeichnungen eines Geburtsprozesses, der schließlich zu einer Notsectio führte, bei der ein mazeriertes Kind entwickelt wurde. Neue CTG-Geräte gäben nicht mehr die jeweilige spezifische Herztonfrequenz wieder, sondern einen Wahrscheinlichkeitsalgorithmus, der beispielsweise auch Dezelerationen erzeuge. Diese seien nur in 78 % der Fälle in der Eröffnungsperiode und in 67 % der Fälle in der Austreibungsperiode tatsächlich die Herztöne des Kindes. Auch andere elektronische Geräte im Raum könnten die Aufzeichnungen der kindlichen Herztöne verändern. Nicht selten führten falsche CTG-Aufzeichnungen zu unnötigen Sectiones.

Ein CTG, so Schwarz, schütze weder das Kind vor zerebralen Schäden noch die GeburtshelferInnen vor Klagen. Im Gegenteil: Je mehr CTG-Aufzeichnungen es gebe, desto mehr würde geklagt. Die Lösung sei eine »intelligente Auskultation«. Dazu soll eine interprofessionelle S3-Leitlinie zur »Vaginalen Geburt am Termin« beitragen. Über deren aktuelle Entstehung referierte eindrücklich die Hebamme Prof. Dr. Rainhild Schäfers von der Hochschule für Gesundheit in Bochum.

 

Anpassungsstörungen beim Neugeborenen

 

Prof. Dr. Mario Rüdiger, Leiter der Neonatologie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden, betonte in seinem Vortrag, dass die Aufgabe der NeonatologInnen stets die Unterstützung der kindlichen Anpassung nach der Geburt sei, es gehe weniger um Reanimation. Rüdiger gab Empfehlungen zum Ablauf: zunächst das Gespräch und der Informationsabgleich mit dem Team, dessen Briefing und ein Check des Equipments. Direkt nach der Geburt solle erst nach etwa einer Minute abgenabelt werden. Bei einer Sectio müsse der Operateur das Kind dann so lange halten.

Inzwischen gebe es schwenkbare Tische, auf die man das Neugeborene zur Versorgung direkt neben die Mutter legen könne, um nicht die Nabelschnur durchtrennen zu müssen. Unerlässlich sei es, das Kind warm zu halten, die Zieltemperatur liege bei 36,5 bis 37,5 °C. Dabei könnten durchsichtige Folien helfen, mit denen man das Kind umhüllt.

Dazu zeigte Rüdiger Filmesequenzen, die er mit seinem Team regelmäßig mache, damit sich alle MitarbeiterInnen über mögliche Handlungsfehler klarer werden könnten. So wurde in einem Film festgehalten, wie jemand um das Kind in der Folie ein Handtuch wickelte, um es warm zu halten – und vergaß, dass die Wärmelampe nun das Kind durch diese Isolierschicht nicht mehr wärmen konnte. Rüdiger erinnerte an alte Reanimationsbemühungen wie die Schulzschen Schwingungen, bei denen man durch eine Art Schleudern des Kindes den Ductus Botalli zu schließen versuchte. Seitdem sei die Versorgung viel weniger traumatisierend, aber trotzdem sei es oft wünschenswert, noch sensibler zu arbeiten. Die Kinder sollten beispielsweise nicht mehr so tief abgesaugt werden, um Wasser aus den Atemwegen zu befördern. Das sei häufig unsinnig und würde das Kind nur stressen. Wichtiger sei es, einen Druck mit der Maske (Continuous Positive Airway Pressure/CPAP) aufzubauen, wodurch die Flüssigkeit über das umgebende Gewebe schneller abgebaut werden könne – was ein nicht gestresstes Kind durch das Schreien selbst initiieren würde. Gestresste Kinder würden durch Knorksen und Stöhnen dasselbe versuchen, sollten aber dabei durch CPAP unterstützt werden.

Zur Zustandsbeurteilung empfahl er, den altbewährten APGAR zu ersetzen durch den von ihm 2015 entwickelten COMBINED-APGAR: Die Werteskala mit 17 statt 10 Punkten könne den Zustand wesentlich genauer beschreiben. Das Akronym erklärt sich aus CPAP, Oxygen, Mask and Bag Ventilation, Intubation and Ventilation, Neonatal Chest Compression, Exogenous Surfactant, Drugs.

 

Wundheilung im frühen Wochenbett

 

Die Hebamme und Anthropologin Peggy Seehafer widmete sich dem Thema »Wundheilung und Sekundärnaht«. Über die Fortbildungsplattform Gynzone bietet sie Nahtkurse an (siehe Link). Sie bemängelte, dass es keine Qualitätskontrolle der Epi-Nähte gebe, auch kein Schema für die Wundbeurteilung und keine Dokumentation in der Klinik, aus der die nachsorgende Hebamme etwas über Art der Naht und das verwendete Material erfahren könnte. Schwellung, Rötung, Hämatome und Dehiszenzen müssten jedoch ein Schema zum Objektivieren erhalten.

Sie selbst gebe den Frauen immer einen Nachweis darüber mit, was und womit sie genäht hat, und zeichne die Naht auf. Sie zeigte eindrückliche Fotos und Videos von schlecht vernähten Dammrissen sowie größeren Dammverletzungen. Sie plädierte dafür, in diesem Bereich genauer hinzuschauen, um Frauen einen langen Leidensweg und Beckenbodenprobleme zu ersparen. Sie sehe sehr oft Frauen, die eine Sekundärnaht benötigen. »Mut zur Sekundärnaht!«, so Seehafer in ihrer freundlichen, aber bestimmten Art, alle Berufsgruppen gemeinsam anzusprechen.

Natürlich spiele auch das Gewebe der Wöchnerin eine Rolle beim Setzen der Naht und schließlich beim Heilungsprozess. Das Nahtmaterial sei oftmals aus Zucker gemacht, nach einer gewissen Zeit zerbreche es und löse sich auf. Sie warnte davor, Fäden einfach zu ziehen, weil sie Beschwerden verursachten, weil dann möglicherweise eine tiefergehende Naht gelöst werde. Ihre Forderung: »Finger weg von der Naht!«, solange man nicht wisse, welche Art der Verletzung mit der Naht versorgt worden sei. Zu Erleichterung von Beschwerden empfiehlt sie zur Kühlung mit Wasser getränkte Binden aus dem Eisfach.

Ihre Take-Home-Message: Nähte und Wunden sollten nach zwei Wochen oberflächlich verheilt sein und nur noch wenig Schmerzen bereiten. Ansonsten sollte eine genaue Untersuchung vorgenommen werden, die möglicherweise als Option eine frühe Sekundärnaht ergebe.

 

Gemeinsam Dinge verändern

 

Dass Fachleute verschiedener Professionen auf ein Thema blicken, aus dem eigenen Wissen heraus argumentieren, Fragen stellen und auf Augenhöhe Erklärungen liefern oder erhalten, ist die Basis für einen ebenbürtigen Austausch. Das war das Anliegen dieses interprofessionellen geburtshilflichen Kongresses. Am ersten Tag deutete sich eine erfolgreiche Umsetzung an und am zweiten Tag vollendete sie sich in einer Fülle aus miteinander verzahnten und einander bereichernden Vorträgen. Die Diskussionen erwiesen sich als erfrischend und respektvoll. Das Konzept der Veranstalter ging damit auf. Obwohl es ihnen gelungen war, ein interprofessionelles Publikum für den Kongress zu interessieren, wäre es für kommende Kongresse wünschenswert, wenn die verschiedenen Berufsgruppen noch ausgewogener vertreten wären. Viele Fragen brachten den Wunsch zum Vorschein, gemeinsam Veränderungen zu bewirken. Die im nächsten Jahr erscheinende S3-Leitlinie zur vaginalen Geburt am Termin könnte ein Meilenstein werden. Doch auch von anderen Guidelines lasse sich bereits heute etwas mitnehmen für einen Wandel, so Schäfers. Und dafür ist die Zeit mehr als reif!

Rubrik: Aus- und Weiterbildung | DHZ 11/2019

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