Eigene Prioritäten setzen
Es gibt keine Verpflichtung zur Einführung eines Qualitätsmanagement-Systems. Trotzdem kann es sich als sinnvoll erweisen, nach einem bestimmten System zu arbeiten. Dies kann sowohl ein selbst erstelltes sein als auch eines der vielen auf dem Markt befindlichen Systeme. Die Auseinandersetzung damit ist wichtig, weil durch die Entscheidung für ein Modell eventuell Weichen für die Zukunft gestellt werden.
QM-System nach der ISO-Norm
Weit verbreitet sind in Deutschland QM-Systeme nach der ISO-Norm. Diese orientieren sich an den Grundsätzen und Mindestanforderungen, die durch die „International Organization for Standardization“ für QM-Systeme in Unternehmen definiert werden, die Produkte herstellen oder Dienstleistungen erbringen (siehe Seite 23ff.). Alle auf der ISO-Norm basierenden Modelle sind auf eine Zertifizierung durch unabhängige externe Personen ausgerichtet. Sie können jedoch auch ohne eine solche Zertifizierung eingeführt werden. Die Orientierung an einer einheitlichen Norm ermöglicht es dabei auch fachfremden Personen, die Qualität zu beurteilen. Es wird also überprüft, ob Standards vorhanden sind und ob die rechtlich gültigen sowie die selbst erstellten Vorgaben auch eingehalten werden. Die Fokussierung auf die Form überdeckt dabei leicht den Inhalt.
Daher ist es innerhalb dieses Qualitätsbegriffes nicht unbedingt ein Widerspruch, wenn beispielsweise eine Klinik ein Qualitätszertifikat erhält, obwohl die Hebammen dort mehrere Frauen parallel betreuen, jede zweite Geburt eingeleitet wird und eine Sectiorate von 50 Prozent vorliegt.
Das EFQM-Modell
Ein weiteres, nicht auf der ISO basierendes Modell wird von der European Foundation for Quality Management (EFQM) herausgegeben (siehe Seite 23ff.). Es betrachtet das Unternehmen ganzheitlich und basiert auf einem System zur Selbstbewertung der Qualitätsentwicklung. Es ist in Deutschland weniger weit verbreitet als Systeme, die auf der ISO basieren. Die Tabelle listet die Prinzipien auf, die in den Systemen gelten.
Ende 2012 ist eine weitere Norm (DIN EN 15224) eingeführt worden, welche die Anforderungen der ISO 9001:2008 auf die Belange des Gesundheitswesens überträgt und sie um branchenspezifische Aspekte ergänzt. Es gilt als wahrscheinlich, dass sich diese neue Norm im Gesundheitswesen durchsetzen wird (Höhl 2012). Vorteilhaft an der neuen Norm ist, dass sie im Gegensatz zur ISO-Norm 9001:2008 spezifische Qualitätsaspekte im Gesundheitswesen abdeckt. Außerdem ist sie an den Sprachgebrauch im Gesundheitswesen angepasst. Nachteilig ist, dass sie die Anforderungen insgesamt nicht reduziert. Gliederung und Inhalte stimmen weitgehend mit der ISO 9001:2008 überein. Doch diese Ergänzung hat eine Erweiterung des Umfangs zur Folge, der schon bislang als übertrieben für kleinere Praxen empfunden wurde.
Tabelle: Grundprinzipien des Qualitätsmanagements nach ISO und EFQM in der Gegenüberstellung
QM-System mit Siegel
Zusätzlich zu den übergeordneten QM-Systemen gibt es Systeme mit Qualitätsvorgaben, die sich an keinem der großen Systeme orientieren und eigene Kriterien für eine Siegelvergabe erstellt haben. Im Gegensatz zu den „großen“ Systemen werden hier oft auch inhaltliche Vorgaben gemacht. Dabei ist es anfangs manchmal schwer ersichtlich, welche der Anforderungen eine gesetzliche Grundlage haben und welche vom Herausgeber des Siegels gestellt werden. Ein Anbieterwechsel kann mit hohem Aufwand für Änderungen am QM-System und mit Kosten verbunden sein.
Bisherige Erfahrungen
Die Verpflichtung zur Einführung von QM-Systemen besteht nach § 135a Absatz 1 SGB V für komplexere ärztlich geleitete Einrichtungen schon seit 2004. Die abgeschlossene Einführung von QM musste erst nach langen Übergangszeiten nachgewiesen werden. Die Auswahl von Systemen und Anbietern war nicht vorgegeben. Häufige Kritikpunkte und Hemmnisse sind:
- hoher Arbeits- und Zeitaufwand
- Bürokratie
- Widerstände im Team gegen Veränderungen
- keine spürbare Qualitätsverbesserung
- erhöhte Anforderungen bei gleichzeitigem Rückgang personeller und finanzieller Ressourcen
- hohe Kosten.
In der ersten Einführungswelle im Gesundheitswesen wurden unzählige Arbeitsanweisungen und Prozessbeschreibungen erstellt, die sich nicht selten zu einem mehrere Hundert Seiten umfassenden Handbuch summiert haben. Eine echte Qualitätsverbesserung wurde inzwischen durch „Verschlankung“ festgestellt, indem Qualitätsdokumente wieder abgeschafft wurden, die sich nicht bewährt haben, sowie durch Auslagerung/Technisierung aufwändiger Arbeitsprozesse (beispielsweise Einscannen des Barcodes für Bestellungen, Beauftragung von Dienstleistern). Vorteile durch die QM-Einführung werden vor allem bei der Einarbeitung neuer MitarbeiterInnen gesehen. Auch die Zusammenarbeit im Team verläuft reibungsloser, nachdem Zuständigkeiten und Abläufe geklärt sind. Durch eine Verminderung sich wiederholender Konflikte wird die Arbeitszufriedenheit gesteigert. Besonders deutliche Verbesserungen werden im Fehlermanagement und in der Einhaltung von Hygienestandards gesehen (Obermann et al. 2012).
Ob das eigentliche Ziel des QM erreicht wird, eine Qualitätsverbesserung für die PatientInnen, wird dagegen angezweifelt (Lange 2011; Hillenbrand 2011; Glauser 1999). Eine Ursache sehen die AutorInnen darin, dass die QM-Systeme eingeführt wurden, ohne dass eine Veränderung in der Einstellung bei den MitarbeiterInnen stattgefunden hat. In Kliniken wird oftmals bemängelt, dass QM-Systeme einfach übergestülpt wurden ohne nennenswerte Einbeziehung der Beteiligten. Sehr selten wurde die Einführung von QM tatsächlich mit ihrem Effekt auf das Outcome evaluiert. Vorhandene Studienergebnisse sind eher ernüchternd (Snyder & Anderson 2005). Seit der Einführung von QM in Geburtshäusern ist aus den Qualitätsberichten (Loytved 2008, 2011), die durch die Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe, QUAG e.V heraus gegeben werden, keine wesentliche Verbesserung der Daten erkennbar, die sich auf QM zurückführen ließe. Einen weit größeren Einfluss scheint die Art des Managements zu haben. Bei einem offenen Umgang mit Fehlern, fairem Management und Einbeziehung der MitarbeiterInnen in die Entscheidungen lässt sich die Versorgung signifikant verbessern und die Anzahl medizinischer Fehler reduzieren (Khatri et al. 2007).
Fallstricke bei der Auswahl
Viele Anbieter tummeln sich auf dem Markt der QM-Systeme, die unterschiedlich zusammengesetzte Pakete anbieten. Sie enthalten Fortbildungen, Schulungsunterlagen und mehr oder weniger ausgearbeitete Bestandteile von QM-Handbüchern. Hier ist große Aufmerksamkeit notwendig beim Vertragsabschluss. Oftmals ist nicht das Handbuch zu erwerben, sondern nur eine Nutzungslizenz, für die laufende Zahlungen fällig werden. Bei Beendigung des Vertrages kann es vorkommen, dass auch das Nutzungsrecht für die auf die eigenen Bedürfnisse angepassten Unterlagen verloren geht. Manchmal besteht auch nur eine sehr eingeschränkte Möglichkeit, überhaupt Anpassungen vornehmen zu können. Bisweilen unterliegen Änderungen sogar einem Genehmigungsverfahren. Dies ist besonders kritisch zu sehen, wenn dabei auch inhaltliche Vorgaben gemacht werden. Die Übernahme fertig ausgearbeiteter Handbücher ist am Anfang praktisch und erspart Zeit. Langfristig wird durch fertige Dokumente jedoch die echte eigene Qualitätsentwicklung behindert. Bei Lizenznahme kann ein Wechsel des Anbieters bedeuten, wieder von vorne anfangen zu müssen.
QM ist ein Wirtschaftszweig
Hier gilt es, Prioritäten zu setzen und sich genau zu erkundigen, mit welchen Bedingungen und Kosten ein Angebot verbunden ist. Qualitätsmanagement ist ein florierender Wirtschaftszweig. QM-Anbieter propagieren die Vorteile möglichst umfangreicher und komplexer Systeme daher auch aus Eigeninteresse an Expansion und wirtschaftlicher Tragfähigkeit ihres eigenen Unternehmens. Inzwischen gibt es auf Hebammen zugeschnittene Modelle. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass mit dem Verkauf guter Systeme, deren Entwicklung meist viel Arbeit gekostet hat, Geld verdient wird. Die Hebamme, die sich Unterstützung sucht, kann sich jedoch fragen:
- Welche Ziele verfolge ich persönlich mit der QM-Einführung? Wie kann ich sie am besten erreichen?
- Benötige ich das komplette Angebot wirklich?
- Was habe ich schon, was kann ich alleine erstellen?
- Werden mir inhaltliche Vorgaben gemacht? Kann ich mich damit identifizieren?
- Wem „gehören“ die von mir erstellten/angepassten Unterlagen?
- Wie lange binde ich mich an den Anbieter?
- Kann ich unproblematisch den Anbieter wechseln?
- Welche Kosten und Folgekosten kommen auf mich zu?
- Wird transparent dargestellt, was verpflichtend und was ein eventuell sinnvolles Zusatzangebot ist?
Derzeit besteht keine Notwendigkeit, sich rasch für ein System zu entscheiden. Möglich ist auch dieses Jahr zu nutzen, um sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, eigene Prioritäten zu setzen und die Qualitätsentwicklung an den Themen zu erproben, die derzeit schon verpflichtend sind oder deren Nutzen für die tägliche Arbeit unmittelbar einleuchtet. Die Vorarbeit lohnt sich auch, wenn später noch eine Entscheidung für ein komplettes System gefällt wird.
Hinweis
In den kommenden Monaten wird Monika Selow in der DHZ regelmäßig ein Thema zur Qualitätsentwicklung vorstellen. Allem voran wird eine Erläuterung der rechtlichen Grundlagen stehen. Anhand dessen können Hebammenkolleginnen selbst beurteilen, was konkret bei einem jeweiligen QM-System erwartet wird und was eben auch nicht.
Literatur
DHV (Hrsg.): Erfolgreich freiberuflich arbeiten, Hippokrates, 2011
Diefenbacher, M.; Schroth, U.; Knobloch,R.; Selow, M.: Praxisratgeber Recht für Hebammen. Hippokrates (2004)
Glauser, E.C.: Qualität – Quo vadis? Swiss Deming Institut(1999)
Hillenbrand, H.: QM im Gesundheitswesen – Qualität verbessert? Diabetologie-online. 7.11. (2011)
Höhl, R.: Bereichsspezifischen Norm-Arztpraxen blühen neue QM-Standards. Ärzte Zeitung. 13.11. (2012)
Horschitz, H.; Selow, M.: Hebammengebührenrecht. Mabuse (2008)
Khatri, N.; Halbesleben, J.R.; Petroski, G.F.; Meyer, W.: Relationship between management philosophy and clinical outcomes. Health Care Manage Rev. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17438396?dopt=AbstractPlus (2007)
Knobloch R.; Selow M.: Dokumentation im Hebammenalltag, Elsevier (2010)
Lange, M.: QM auf dem Prüfstand, Qualitätsmanagement – Quo vadis? DZ 5/2011 (2011)
Loytved, C.: Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e.V. (QUAG e.V.) (Hrsg.). Qualitätsbericht 2008. Außerklinische Geburtshilfe in Deutschland (2008)
Loytved, C.: Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e.V. (QUAG e.V.) (Hrsg.). Qualitätsbericht 2011. Außerklinische Geburtshilfe in Deutschland (2011)
Obermann, K.; Woerns, S.; Brendt, I.: Qualitätsmanagement, Patientensicherheit und Hygiene in der ärztlichen Praxis 2012 – Kurzfassung – Eine deutschlandweite Befragung niedergelassener Ärztinnen und Ärzte. Studie der Stiftung Gesundheit durchgeführt von der GGMA Gesellschaft für Gesundheitsmarktanalyse (2012)
Snyder, C.; Anderson, G.: Do quality improvement organizations improve the quality of hospital care for Medicare beneficiaries? Jama. Jun 15; 293(23): 2900-7. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15956635?dopt=abstractplus (2005)
TÜV-Süd (Hrsg.): DIN EN 15224, Europäische Norm für QM-Systeme im Gesundheitswesen. www.tuev-sued.de/management-systeme/gesundheitswesen/din-en-15224 (letzter Abruf 12.11.2013)
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