Praktisch keine freie Wahl
Die freie Wahl des Geburtsortes für die Frau ist seit 2012 in § 24 f des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) festgeschrieben. Demnach kann die Frau zwischen stationärer Geburt in einer Klinik und ambulanter Geburt in der Klinik, im Geburtshaus oder zu Hause wählen, wobei sie Hebammenhilfe und ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen kann. Nach § 24 d SGB V kann sie in der Schwangerschaft wählen, ob sie Betreuung und Schwangerenvorsorge von einem Arzt beziehungsweise einer Ärztin oder einer Hebamme in Anspruch nehmen möchte. Die Hebammenverbände und die Krankenkassen haben die Vergütungsvereinbarung vertraglich geregelt. Sie beinhaltet für die Schwangerschaft Beratungen, Schwangerenvorsorge mit Nebenleistungen, Vorgespräche, Hilfe bei Beschwerden und Wehen.
Demnach könnte die Frau im Verlauf der Schwangerschaft entscheiden, wann sie Kontakt zu Hebamme und/oder Arzt beziehungsweise Ärztin aufnehmen möchte und sich von einem oder beiden zur Wahl des Geburtsortes beraten lassen. Dann könnte sie in Ruhe wählen und ihrem Wunsch entsprechend zu Hause, im Geburtshaus oder in einer Klinik – ambulant oder stationär – , in einem Hebammenkreißsaal, mit Beleghebamme in Eins-zu-eins-Betreuung oder in einem Perinatalzentrum mit angeschlossener Kinderklinik gebären. Sie hat Anspruch auf ein Vorgespräch mit einer Hebamme, bei dem sie sich individuell beraten lassen kann. Bei gewünschter Geburt zu Hause oder im Geburtshaus kann sie ein weiteres Vorgespräch in Anspruch nehmen. Bei der Geburt wird auf ihren Wunsch hin oder bei Bedarf ein Arzt oder eine Ärztin hinzugezogen.
Bis vor einigen Jahren war es der Hebamme möglich, die Entscheidung zur Wahl des Geburtsortes im Verlauf der Schwangerschaft gemeinsam mit der Frau zu treffen und bei Bedarf entsprechend anzupassen. Die rechtlichen Bedingungen zur Berufsausübung bildeten hierzu einen Rahmen (persönlicher Rückblick, siehe Kasten).
Rechtliche Grundlagen
Auf europäischer Ebene wird den Mitgliedstaaten der EU durch eine Richtlinie auferlegt, dafür Sorge zu tragen, dass Hebammen mindestens in dem dort benannten Rahmen ihren Beruf ausüben können (siehe Kasten zur EU-Richtlinie).
In Deutschland wird die Anforderung der EU Richtlinie in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung umgesetzt: Die Ausbildung befähigt Hebammen dazu, diese Aufgaben eigenverantwortlich zu erfüllen. Sie umfasst auch Maßnahmen, die normalerweise ein Arzt oder eine Ärztin durchführen, da die Hebamme bei Abwesenheit des Arztes die notwendigen Maßnahmen selbst ergreifen können muss. Nach der Ausbildung gelten die Berufsordnungen der Bundesländer, welche die Vorgabe der EU teilweise wörtlich übernehmen (etwa in Berlin), teilweise jedoch in abgeänderter Form.
Dabei werden beispielsweise die Begriffe Anomalie, Komplikation, Regelwidrigkeit und Risiko synonym verwendet oder Dringlichkeit, Notfall und – nicht näher begründete – Abwesenheit des Arztes gegeneinander ausgetauscht. Im Vergleich miteinander und einzeln betrachtet sind dadurch unterschiedliche Interpretationen für den Rahmen der Berufsausübung möglich.
In den Berufsordnungen wird in weiteren Paragrafen beschrieben, wie die Hebamme bei Abweichungen vom Normalfall vorgehen soll.
Beispielhaft heißt es in der Berufsordnung Berlin:
(2) Bei Regelwidrigkeiten oder Verdacht auf Regelwidrigkeiten haben Hebammen und Entbindungspfleger erforderlichenfalls die Hinzuziehung einer Ärztin oder eines Arztes oder die Einweisung in ein Krankenhaus zu veranlassen. Dabei haben Hebammen und Entbindungspfleger den Wunsch der Frau einer Hinzuziehung oder Einweisung zu berücksichtigen. Wird die Hinzuziehung oder Einweisung abgelehnt, haben Hebammen und Entbindungspfleger darauf hinzuwirken, dass eine Ärztin oder ein Arzt hinzugezogen wird oder die Einweisung in ein Krankenhaus erfolgt. Bleibt es bei der Ablehnung, so soll dies schriftlich bestätigt werden.
Auszug aus der EU-Richtlinie 2005/36/EG
Artikel 42
Ausübung der Tätigkeiten der Hebamme
(2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Hebammen zumindest die Aufnahme und Ausübung folgender Tätigkeiten gestattet wird:
...
b) Feststellung der Schwangerschaft und Beobachtung der normal verlaufenden Schwangerschaft, Durchführung der zur Beobachtung eines normalen Schwangerschaftsverlaufs notwendigen Untersuchungen
c) Verschreibung der Untersuchungen, die für eine möglichst frühzeitige Feststellung einer Risikoschwangerschaft notwendig sind, oder Aufklärung über diese Untersuchungen
...
f) Durchführung von Normalgeburten bei Kopflage, einschließlich — sofern erforderlich — des Scheidendammschnitts sowie im Dringlichkeitsfall Durchführung von Steißgeburten
g) Erkennung der Anzeichen von Anomalien bei der Mutter oder beim Kind, die das Eingreifen eines Arztes erforderlich machen, sowie Hilfeleistung bei etwaigen ärztlichen Maßnahmen; Ergreifen der notwendigen Maßnahmen bei Abwesenheit des Arztes, insbesondere manuelle Ablösung der Plazenta, an die sich gegebenenfalls eine manuelle Nachuntersuchung der Gebärmutter anschließt.
Grundsätze der Berufsausübung
Aus den rechtlichen Grundlagen ergeben sich für die Hebamme folgende Grundsätze in der Berufsausübung:
- Die Hebamme arbeitet und entscheidet eigenverantwortlich.
- Sie achtet auf Abweichungen vom Normalverlauf, die ärztliche Maßnahmen erfordern.
- Über den eigenen Tätigkeitsbereich hinausgehende Untersuchungen werden von ihr veranlasst, beziehungsweise sie klärt über die Möglichkeiten auf, damit die Frau selbst entscheiden kann, ob sie diese in Anspruch nehmen möchte.
- Sie sorgt unter Berücksichtigung der Wünsche der Frau gegebenenfalls für die Hinzuziehung eines Arztes beziehungsweise einer Ärztin oder für die Einweisung beziehungsweise Verlegung in eine Klinik.
- Die Frau hat das Recht auf Hebammenhilfe bei normalem Verlauf, aber auch beim Vorliegen von Abweichungen. Die Entscheidungsgewalt über jeden einzelnen Aspekt liegt bei der Frau (siehe 1. Teil, DHZ 7/2015).
Die Abschätzungen, ob eine Abweichung vom Normalverlauf vorliegt, ob eine ärztliche Maßnahme erforderlich ist, welche zusätzlichen Untersuchungen angezeigt sein könnten und wann Dringlichkeit oder Notfall vorliegen, gehören in den Bereich der Hebammentätigkeit. Sowohl in Notfällen als auch bei Abwesenheit ärztlicher Hilfe und auch in Funktion als Gehilfin des Arztes oder der Ärztin muss die Hebamme Abweichungen erkennen und fach- und situationsgerecht darauf reagieren können. Die Patientenrechte sind dabei zu beachten (siehe 1. Teil).
Abweichungen vom Normalfall
In den rechtlichen Vorgaben zur Abgrenzung zwischen Hebammenhilfe und ärztlicher Hilfe finden sich als benannte Abweichungen vom Normalfall lediglich die Beckenendlage und die manuelle Plazentalösung. Dies ist sinnvoll, da es sich um Abweichungen handelt, die
- grundsätzlich sowohl von Hebammen als auch von ÄrztInnen bewältigt werden können
- eindeutig definiert sind und ohne Interpretationsspielraum auskommen
- schwere Folgen haben können, wenn die Hebamme keine Hilfe leistet, obwohl sie es könnte
- unerwartete, zeitkritische Hilfeleistungen erfordern können, die über Ersthilfe hinausgehen, also vollendet werden können.
Andere Abweichungen vom „Normalfall"
- bieten einen Handlungsspielraum: beispielsweise Abwarten, medikamentöse Maßnahmen, Kaiserschnitt, Spontangeburt oder vaginal-operative Geburt, die in einigen EU-Ländern durch Hebammen durchgeführt wird
- bieten keinen Handlungsspielraum: zum Beispiel bei absoluter Kaiserschnittindikation wegen geburtsunmöglicher Lage oder Placenta praevia
- erfordern Erstmaßnahmen durch die Hebamme, die gegebenenfalls ärztliche Unterstützung hinzuzieht oder die Frau verlegt: zum Beispiel Blutungen, pathologische Herztöne des Kindes, Embolie, Eklampsie
- erfordern eine individuelle Einschätzung der geburtshilflichen Konsequenz in großer Bandbreite, da die Abweichung auf einer Erkrankung der Mutter beruht, die kontinuierlicher ärztlicher Behandlung bedarf: beispielsweise Epilepsie, Hypertonie, Herzerkrankung der Mutter, Diabetes
- lassen eine fließende Interpretation mit Grenzbereichen zu: zum Beispiel auffällige Herztöne, Frühgeburt, Missverhältnis zwischen Kopf und Becken, protrahierter Geburtsverlauf.
Zu diesen Abweichungen wird das fachlich und situativ richtige Handeln der Hebamme durch die Anforderung zur gewissenhaften Berufsausübung gewährleistet, nach dem aktuellen Stand des wissenschaftlich-medizinischen Fortschritts entsprechend der Ausbildung und kontinuierlichen Fortbildung. Die Inhalte finden sich in Lehrbüchern, Leitlinien der Fachgesellschaften, Fachzeitschriften und aktuellen Studien. Sie unterliegen einem stetigen Wandel und sind in der Ausübung abhängig von den regionalen Möglichkeiten. Insbesondere in den Grenzbereichen gibt es meist mehrere Handlungsoptionen und Kombinationen. Nach Aufklärung und gemeinsamer Abwägung der Beteiligten – Frau und Angehörige, Hebamme, ÄrztInnen – wird der individuell vorhandene Handlungskorridor genutzt. Bezogen auf die Wahl des Geburtsortes sind die meisten Abweichungen nicht regelungsbedürftig. Denn entweder lassen sie im Vorfeld gar keine Wahl zu, zum Beispiel bei absoluter Kaiserschnittindikation. Oder es handelt sich um Komplikationen, die unabhängig vom ursprünglich vorgesehenen Geburtsort ein bestimmtes Vorgehen der Hebamme erfordern, zum Beispiel einen außerklinischen Einsatz bei einer geplanten Klinikgeburt wegen plötzlich auftretender Blutung in der Schwangerschaft, bei einer Frühgeburt auf einer Nordseeinsel oder wenn während einer bereits begonnenen Haus- oder Geburtshausgeburt ein Grund zur Verlegung in die Klinik auftritt.
Ablehnung der ärztlichen Betreuung
Berufsrechtlich geregelt ist, dass Hebammen immer dann einen Arzt beziehungsweise eine Ärztin hinzuziehen, wenn die Frau dies wünscht – unabhängig davon, ob eine Abweichung vom Normalfall vorliegt.
Im Verlauf von Schwangerschaft und Geburt können sich konkrete Umstände ergeben, die die Hinzuziehung eines Arztes oder einer Ärztin oder eine Einweisung in die Klinik erforderlich machen. Das können etwa die Entwicklung eines HELPP-Syndroms, Blutungen oder Frühgeburtlichkeit sein. In der Regel folgt die Frau hier der Empfehlung zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe.
Für die seltenen Fälle, in denen Frauen ärztliche Hilfe ablehnen, obwohl konkrete Komplikationen vorliegen, gibt es keine allgemein gültige Vorgabe, wie die Hebamme im Weiteren vorgehen sollte. In den Berufsordnungen ist für diesen Fall nur vorgesehen, dass die Frau ihre Weigerung, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, schriftlich bestätigen soll. Ob dies ausreicht oder was zu tun ist, wenn die Frau auch das verweigert, hängt vom Einzelfall ab.
Je nach Schwere der Komplikation, Dringlichkeit und verfügbarer Unterstützung kommen in Betracht:
- Ablehnung der weiteren Betreuung
- Betreuung durch die Hebamme unter Nutzung der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten
- Hinzuziehung von Unterstützung durch Notarzt, Polizei und anderer zur Einholung einer richterlichen Verfügung bei akuter Eigen- und/oder Fremdgefährdung.
Theoretisch ließen sich dazu fiktive Fallbeispiele anführen, die von der Ablehnung zusätzlicher Diagnostik bei einem Verdacht – beispielsweise auf HELLP oder Wachstumsretardierung – bis zu akut lebensbedrohlichen Zuständen – etwa starke Blutung oder akute Psychose der Mutter – reichen. Allgemein lässt sich sagen, dass die Hebamme verpflichtet ist, alles ihr Mögliche zu tun, um einen Schaden abzuwenden. Eine sorgfältige und ausführliche Dokumentation ist in allen Fällen anzuraten.
Zum Zeitpunkt, an dem zur Wahl des Geburtsortes beraten wird, sind solche Umstände meist nur insofern relevant, als dass die Frau darüber aufgeklärt wird, dass im weiteren Verlauf der Schwangerschaft Probleme auftreten können, die die Hinzuziehung eines Arztes oder einer Ärztin oder die Einweisung in eine Klinik erforderlich machen. Das Prozedere für diese Fälle wird im Vorfeld mit den werdenden Eltern besprochen.
Großer Spielraum
Aus den PatientInnenrechten und aus dem Berufsrecht der Hebamme ergibt sich ein großer Spielraum zur primären Wahl des geplanten Geburtsortes. Der gewünschte Geburtsort ist eng verbunden mit Erwartungen an den Betreuungsstil und mit den gewünschten Vorgehensweisen zum Geburtsmodus und zu möglichen Interventionen. So bedeutet beispielsweise der Wunsch nach Interventionen (PDA, Kaiserschnitt) eine Geburt im klinischen Setting, da diese zu Hause und im Geburtshaus nicht angeboten werden. Der Wunsch nach weitgehendem Verzicht auf Interventionen lässt sich theoretisch zwar überall umsetzen, in der Praxis erfüllt er sich jedoch wesentlich häufiger unter Hebammenleitung als unter ärztlicher Leitung – ohne sonstige Qualitätseinbußen.
Neben den tatsächlich vorliegenden Abweichungen vom normalen Verlauf in der Schwangerschaft und bei der Geburt, bei denen Hinzuziehung beziehungsweise Verlegung berufsrechtlich vorgesehen sind, gibt es einen großen Bereich der sogenannten Risikofaktoren, die für die Wahl des Geburtsortes relevant sein können. Vorhandene Kataloge – zum Beispiel aus den Mutterschafts-Richtlinien – sind dabei nur bedingt hilfreich, da ihr prädiktiver Wert nur gering ist (siehe Seite 58ff.).
Für jedes Merkmal, das mit einer erhöhten Gefährdung einhergehen kann, stellen sich der Hebamme folgende Fragen:
- Was liegt vor? In welchem Ausmaß? Hat es voraussichtlich Einfluss auf die Geburt mit Relevanz für den Geburtsort? (Skelettanomalie am Arm oder am Becken, Adipositas mit BMI 30 oder 50) Welche Umstände haben bei vorangegangenen Geburten zur Entwicklung einer Komplikation beigetragen? (Befunde gemäß A/B des Mutterpasses)
- Besteht akute Gefahr? Ist derzeit das „Eingreifen eines Arztes erforderlich" beziehungsweise sinnvoll?
- Was kann sich aus dem Merkmal ergeben? Worin besteht das Risiko konkret?
- Welche Faktoren beeinflussen den Fortgang positiv? (nachfolgende spontane Geburt bei Zustand nach Sectio, Gebärhaltung, Reduktion zusätzlicher Stressoren)
- Ergeben sich diagnostische oder therapeutische Optionen? (Veranlassung von Laboruntersuchungen, Empfehlung zur Mitbetreuung durch andere Fachkräfte, Hilfe bei Beschwerden)
- Wie kann eingewirkt werden, um ein erhöhtes Risiko zu minimieren? (Beratung zur Verhaltensänderung der Frau, Information und Unterstützung zur Verminderung von Belastungen)
- Wie wirken verschiedene Merkmale im Gesamtbild zusammen?
- Welche Wünsche, Erwartungen, Befürchtungen, Erfahrungen hat die Frau in Bezug auf die Merkmale?
Im Dialog mit der Frau ergibt sich aus der Beantwortung dieser Fragen ein Vorgehen für die weitere Schwangerschaft sowie im weiteren Verlauf eine vorläufige Einschätzung zu den Möglichkeiten zur Wahl des Geburtsortes. Die Kernfrage, die sich dabei – erstmals und im Verlauf der Schwangerschaft immer wieder – stellt, ist: Kann auf Basis der individuell vorliegenden Einschätzung mit einem normalen Geburtsverlauf gerechnet werden? Ein normaler Geburtsverlauf liegt vor, wenn die Geburt in Längslage spontan zwischen der vollendeten 37. und 42. Schwangerschaftswoche einsetzt, spontan beendet wird und Mutter und Kind nach der Geburt wohlauf sind.
Bei 70 bis 80 Prozent der Schwangeren kann mit einer normalen Geburt gerechnet werden (WHO 1996), obwohl 76 Prozent der Frauen entsprechend deutscher Kataloge Risiken aufweisen. Wichtig ist, dass diese eigenverantwortliche Abschätzungsaufgabe berufsrechtlich in den Bereich der Hebammenkompetenz- und Zuständigkeit gehört. Die von der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG) erhobenen Daten belegen, dass die daraus resultierende Entscheidung der Frau verantwortlich getroffen wird und zu guten Ergebnissen führt.
Die Optionen fehlen
Bedenklich ist, dass Frauen vielerorts kaum noch die Möglichkeit haben, tatsächlich unter allen Optionen zu wählen. So ist es regional schwer bis unmöglich, eine Hebamme zu finden für die Hausgeburt, ein Geburtshaus oder eine Beleghebamme mit Eins-zu-eins-Betreuung. Das gilt besonders, da die Frau schon zu einem Zeitpunkt eine „Wahl" treffen muss, zu dem ihrerseits noch keine Entscheidungsreife besteht, da der „weitere Verlauf der Schwangerschaft", als ein Kriterium für diese Wahl, noch vor ihr liegt.
Die Entscheidung zur Wahl des Geburtsortes ist heute bereits erheblich eingeschränkt, weil
- sie bereits früh in der Schwangerschaft getroffen werden muss
- eine andere Entscheidung oder Umorientierung oft nicht mehr möglich ist, auch bei Änderung der Bedingungen
- es zu wenig Hebammen gibt, die noch dazu meistens in einem sehr eingeschränkten Bereich tätig sind
- zahlreiche Kliniken nicht mehr existieren
- Transporte von Frauen und Neugeborenen schwieriger sind und sich die Transportwege verlängert haben
- es kaum noch ÄrztInnen gibt, die „hinzugezogen" werden können
- die Wahl des Geburtsortes Klinik oft verbunden ist mit rigiden Vorgaben bei Vorliegen von Befunden
- „beliebte" Kliniken oftmals frühzeitig keine weiteren Anmeldungen mehr annehmen und zu wenig Ressourcen zur Verfügung stehen, um allen Frauen die Wahl zu ermöglichen
- die Geburt zu Hause, im Geburtshaus und mit Beleghebamme in Eins-zu-eins-Betreuung mit Kosten verbunden ist.
Echte Wahlfreiheit wieder herstellen
Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist die freie Wahl des Geburtsortes praktisch nicht mehr möglich. Die Hebamme muss ihre Beratung zur Wahl des Geburtsortes nach den regionalen Möglichkeiten ausrichten und dabei den Wunsch der Frau berücksichtigen, in Verbindung mit Anamnese und Schwangerschaftsverlauf. Zur Wiederherstellung echter Wahlfreiheit sind strukturelle Änderungen im Gesundheitssystem notwendig.
Persönlicher Rückblick
Ich habe zwischen 1987 – nach dem Wegfall der Niederlassungserlaubnis – und 2006 über 1.000 Geburten zu Hause, im Geburtshaus und als Beleghebamme in wechselnden Anteilen betreut. Der überwiegende Teil davon fand in einer mittelgroßen Stadt statt. Die wirklich freie Wahl des Geburtsortes war möglich, als für mich alle Geburtsorte offen standen und die Frau sich zu jeder Zeit der Schwangerschaft entscheiden und umentscheiden konnte. Für Geburten im Geburtshaus und zu Hause standen zur Hinzuziehung bis zu fünf Frauenärzte und eine Frauenärztin zur Verfügung. Teilweise waren sie auf Wunsch der Frau bei der Geburt anwesend, teilweise wurden sie nur bei Bedarf hinzugezogen. Sowohl Hebammen als auch ÄrztInnen konnten sich gegenseitig vertreten. Für den Verlegungsfall standen bis zu drei Belegkrankenhäuser zur Wahl, zusätzlich vier weitere Kliniken, davon zwei mit Kinderklinik. An einer Klinik gab es, durch Spendengelder finanziert, einen für Neugeborene optimal ausgestatteten Transportwagen, der grundsätzlich durch Ober- oder Chefarzt und qualifiziertes Personal der Neonatologie begleitet wurde. Sowohl mit den Belegkliniken als auch mit der Kinderklinik fanden gemeinsame Fortbildungen statt.
Monika Selow
Literatur
Anlage 1 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Hebammen und Entbindungspfleger (HebAPrV): Neugefasst durch B. v. 16.03.1987 BGBl. I S. 929; zuletzt geändert durch Artikel 5 V. v. 02.08.2013 BGBl. I S. 3005
Berufsordnung für Hebammen und Entbindungspfleger (HebBO): Vom 9. November 2010. Berlin (2010)
Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V): §24 f in der Fassung des Artikels 3 Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz (PNG) G. v. 23. Oktober 2012 BGBl. I S. 2246 m.W.v. 30. Oktober 2012. http://www.buzer.de/gesetz/10349/a178087.htm (letzter Zugriff: 11.7.2015) (2012)
Richtlinie 2005/36/EG des europäischen Parlaments und des Rates:Vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, zuletzt geändert 28. Dezember 2013 durch Richtlinie 2013/55/EU. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2005:255:0022:0142:de:PDF (letzter Zugriff: 11.7.2015) (2013)
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