Mit Arzneimitteln richtig umgehen
Mit Arzneimitteln umzugehen, ist ein wesentlicher Bestandteil der Hebammenarbeit. Auf der einen Seite ist er Bestandteil der Kernprozesse, die zur Betreuung der Frau gehören: Indikationsstellung, Aufklärung über Wirkungen und Nebenwirkungen, Verabreichung, Beobachtung und Beurteilung der Wirkweise, Dokumentation. Auf der anderen Seite stehen Unterstützungsprozesse der Organisation, wie Beschaffung, Lagerung, Kontrolle und Abrechnung. Grundlage all dieser Einzeltätigkeiten ist aktuelles Wissen über alle verwendeten Arzneimittel.
Rechtliche Grundlagen
Die gesetzlichen Regelungen zu Arzneimitteln sind umfangreich und komplex. Denn es handelt sich um einen großen und volkswirtschaftlich wichtigen Markt, der sehr streng reglementiert ist. Die Regelungen dienen einerseits dem Schutz der Menschen, andererseits sollen sie die Kosten eindämmen, die dem Gesundheitssystem durch den Arzneimittelgebrauch entstehen. Die umsatzstarke Pharmaindustrie steht häufig in der Kritik, weil sie wirtschaftliche Interessen auch zum Schaden der PatientInnen durchsetzt. Intensive und kostspielige Lobbyarbeit hat dabei erheblichen Einfluss, der sich in der Gesetzgebung widerspiegelt.
Die übergeordneten Bestimmungen für Arzneimittel finden sich im Arzneimittelgesetz (AMG, zuletzt geändert 2014). Es regelt unter anderem Herstellung, Zulassung, Registrierung, Abgabe und Kontrolle von Arzneimitteln. Für die praktische Arbeit der Hebamme spielt das AMG nur insofern eine Rolle, dass durch die umfangreichen Voraussetzungen, die für Herstellung und Abgabe gelten, ausgeschlossen ist, dass Hebammen Arzneimittel selbst herstellen oder vertreiben. Eine Behandlung der Frauen mit selbst angebauten oder gesammelten Kräutern oder selbst hergestellten Ölen, Salben, Tees und Tinkturen, wie sie Jahrhunderte lang üblich war, ist praktisch verboten, weil die Hebamme nicht in der Lage ist die Vorgaben des AMG zu erfüllen. Das AMG wird ergänzt durch zahlreiche Verordnungen. Für Hebammen relevant ist vor allem die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV), zuletzt geändert 2013. Ihre Anlage 1 nennt die verschreibungspflichtigen Arzneimittel inklusive der Ausnahmen, die für diese Arzneimittel bei bestimmten Anwendungen gelten. Darin enthalten sind auch die Arzneimittel, die an Hebammen ohne vorherige Verschreibung (jedoch mit Berufsnachweis) in bestimmten Dosierungen und Verabreichungsformen abgegeben werden dürfen. Da es noch keinen Heilberufeausweis gibt, ist dieser Nachweis auf unterschiedliche Weisen möglich. Nachgewiesen wird nur der Beruf, nicht der Tätigkeitsbereich. Dies stammt noch aus Zeiten, in der jede Hebamme Geburtshilfe angeboten hat. In der Anlage 1 der AMVV sind benannt:
Fenoterol
„zur Notfalltokolyse in Zubereitungen von 25 µg zur Auflösung in 4 ml Infusionslösung zur langsamen (über 2 bis 3 Minuten) Bolusinjektion in einer Packungsgröße von bis zu 5 Ampullen zur Abgabe an Hebammen und Entbindungspfleger für den Praxisbedarf."
Als Spray (zum Beispiel Berotec-Spray) ist Fenoterol nicht für die Tokolyse zugelassen.
Lidocain
„Arzneimittel zur subkutanen und intramuskulären Infiltrationsanästhesie zur Durchführung von Dammschnitten und zum Nähen von Dammschnitten und Dammrissen im Rahmen der Geburt in einer Konzentration von bis zu 1%, einer Einzeldosis von bis zu 10 ml und einer Menge von bis zu 10 ml je Ampulle zur Abgabe an Hebammen und Entbindungspfleger im Rahmen ihrer Berufsausübung"
Von der Verschreibungspflicht ausgenommen ist außerdem Lidocain zum Aufbringen auf die Haut oder Schleimhaut, zum Beispiel als Gel oder Spray, wobei es das normale Spray nur als verschreibungspflichtige Version gibt und Xylocain dental Spray verschreibungsfrei. Der Grund für die unterschiedliche Handhabung liegt in den in der Packungsbeilage beschriebenen Anwendungsgebieten. Das Nähen kleinerer Geburtsverletzungen ist bei Gel nicht benannt, jedoch darf es im Genitalbereich eingesetzt werden. Das verschreibungsfreie Spray ist in der Dentalanwendung nur zur Anwendung im Mundraum zugelassen und enthält außerdem noch Zusätze wie Levomenthol und Bananenaroma. Fürs Nähen zugelassen ist ausschließlich die Injektionsform, so der Hersteller.
Methylergometrin
„zur Anwendung bei Nachgeburtsblutungen in einer Konzentration bis zu 0,3 mg/ml und einer Einzeldosis bis zu 1 ml zur Abgabe an Hebammen und Entbindungspfleger für den Praxisbedarf."
Oxytocin
„zur Anwendung bei Nachgeburtsblutungen in einer Konzentration bis zu 10 I.E./ml und einer Einzeldosis bis zu 1 ml zur Abgabe an Hebammen und Entbindungspfleger für den Praxisbedarf."
Syntocinon-Spray ist verschreibungspflichtig. Es ist ausdrücklich nicht für die Wehenstimulation zugelassen.
Keine aktuelle Positivliste
Welche Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verabreicht werden können, ist im fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) in den § 31 und 34 allgemein beschrieben. Im Detail bestimmt darauf basierend der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), welche Arzneimittel für welche Indikationen als unwirtschaftlich oder unwirksam gelten. Damit muss die gesetzliche Krankenkasse sie nicht bezahlen. In der Anlage 1 der Arzneimittel-Richtlinie (G-BA 2014) finden sich beispielsweise unter Punkt 9 „Arzneistofffreie Injektions-/Infusions-, Träger- und Elektrolytlösungen" als nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die von der GKV zu tragen sind.
Anlage 1 zum Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe (Hebammen-Vergütungsvereinbarung) listet die Arzneimittelgruppen und Indikationen auf, die neben dem rein schwangerschaftsbezogenen und geburtshilflichen Bereich typischerweise zu Auslagen führen, die von der GKV erstattet werden. Zu beachten ist, dass die Erstattung für Arzneimittel, „sofern diese Arzneimittel verbraucht oder zur weiteren Verwendung überlassen wurden", über den Anspruch hinausgeht, den die Versicherten nach den Bestimmungen des SGB V und den Richtlinien des G-BA gegenüber ihrer Krankenkasse hätten. Dies führt regelmäßig zu Unklarheiten und Reklamationen der Rechnungen von Hebammen. Es gibt keine aktuelle Positivliste aller Arzneimittel, die Hebammen als Auslagen geltend machen können. Im Falle der Kürzung kann die Hebamme eine Begründung der Krankenkasse mit Quellenangabe verlangen, und so in den darin benannten Originaldokumenten nachvollziehen, ob die Kürzung ungerechtfertigt war. Für Arzneimittelverbrauch, der über den Umfang der GKV-Erstattung hinausgeht, muss die Versicherte selbst zahlen, wenn sie vorab darüber aufgeklärt wurde, welche Kosten auf sie zukommen können.
Im Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe heißt es in § 8 Absatz 2:
„Materialien und Arzneimittel sind vor dem Zugriff von Unbefugten geschützt zu lagern. Die Qualität der Materialien und Arzneimittel darf durch die Art und Weise der Lagerung nicht nachhaltig beeinflusst werden. Materialien und Arzneimittel sind so zu lagern, dass insbesondere Verwechslungen ausgeschlossen werden. Die Vorschriften der Gefahrstoffverordnungen über die Lagerung von Stoffen oder Zubereitungen sind zu beachten."
Das sind wesentliche Punkte, die für Hebammen durch die gesetzliche Grundlage sowieso gelten. Weitere Bestimmungen finden sich in den Berufsordnungen der Länder.
Arzneimittel im QM
Die Bearbeitung des Themas Arzneimittel im QM-System sorgt dafür, dass die wesentlichen Punkte umgesetzt werden, die bei Arzneimittelgaben aufgrund rechtlicher Bestimmungen zu beachten sind. Eine einfache Tabelle dient sowohl als Nachweis der Umsetzung wie auch – als Checkliste verwendet – als Gedächtnisstütze. Damit wird auch Lücken und Fehlern bei der Aufklärung, Dokumentation und Abrechnung vorgebeugt (siehe Tabelle 1).
Die Inhalte der beispielhaften Checkliste können je nach Tätigkeitsspektrum variieren. Sie unterscheiden sich im organisatorischen Bereich (siehe Tabelle 2), wenn mehrere Hebammen im Team arbeiten, wenn Räumlichkeiten vorhanden sind und wenn Arzneimittelgaben aufgrund ärztlicher Anordnung mit berücksichtigt werden.
Aufgrund der Vielzahl der Regelungen sind Änderungen in den gesetzlichen Grundlagen häufig. Eine regelmäßige Anpassung an die eigenen Tätigkeiten der Hebamme ist daher notwendig. Sehr unbefriedigend ist, dass Frauen in Schwangerschaft und Stillzeit sowie Kinder wegen der komplizierten und teuren Zulassungsverfahren, immer mehr aus dem Indikationsspektrum gestrichen werden, das die Arzneimittelhersteller angeben. Das Thema „Off-Label-Use" und damit zusammenhängende rechtliche Fragen werden in Geburtshilfe, Kinderheilkunde und Politik sehr diskutiert. Auch in dem kleinen Bereich der Arzneimittelgabe durch Hebammen an Frauen und Kinder sind dringend Reformen notwendig, um diesbezüglich bei der Betreuung von Schwangeren, Müttern und Kindern überhaupt noch zugelassene Arzneimittel zur Verfügung zu haben. Zum anderen geht es darum, Rechts- und Abrechnungssicherheit auf Seiten der Leistungserbringer im Gesundheitswesen herzustellen.
Literatur
Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG). Neu gefasst durch B. v. 12.12.2005 BGBl. I S. 3394; zuletzt geändert durch Artikel 2a G. v. 27.3.2014 BGBl. I S. 261; Geltung ab 01.1.1978. www.buzer.de/gesetz/7031/index.htm (letzter Zugriff: 2.6.2014)
Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (Arzneimittelverschreibungsverordnung – AMVV) Artikel 1 V. v. 21.12.2005 BGBl. I S. 3632; zuletzt geändert durch Artikel 1 V. v. 19.2.2013 BGBl. I S. 312; Geltung ab 1.1.2006. www.buzer.de/gesetz/7047/index.htm (letzter Zugriff: 2.6.2014)
Gemeinsamer Bundessausschuss (G-BA): Richtlinie über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie). In der Fassung vom: 18.12.2008 / 22.1.2009 BAnz. Nr. 49 (Beilage) vom 31.03.2009, Letzte Änderung: 20.2.2014 BAnz AT 12.5.2014 B1. In Kraft getreten: 13.5.2014. www.g-ba.de/informationen/richtlinien/3/ (letzter Zugriff: 2.6.2014)
Zugelassene Ausnahmen zum gesetzlichen Verordnungsausschluss nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V, Anlage 1: www.g-ba.de/informationen/richtlinien/anlage/17/ (letzter Zugriff: 2.6.2014)
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