Geburtsort – Wahlrecht der Frau
Ein Artikel zu diesem Thema war schon lange geplant. Er sollte unter dem Aspekt der eigenen Organisation den optimalen Umgang mit Befunden und Risiken auf dem Entscheidungsweg zum Geburtsort darstellen. Doch derzeit wird diese Perspektive überlagert vom aktuellen Stand der Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen, die über die Hebammenvergütung versuchen, die Entscheidungsfreiheit der Frauen zur Betreuung und zur Wahl des Geburtsortes auszuhebeln. Streitpunkt sind die sogenannten „Ausschlusskriterien". Diese sind derzeit Bestandteil einer Anlage des Ergänzungsvertrages für die Übernahme der Betriebskosten bei der Geburt in einer von Hebammen geleiteten Einrichtung (HgE). Sie sollen zukünftig – verbunden mit neuen finanziellen und organisatorischen Einschränkungen – auch für Hausgeburten gelten. Die Diskussion um die Bedingungen, unter denen Hebammenleistungen von den Krankenkassen bezahlt werden, ist eingebettet in die Entscheidungsfindung der Frau zur Wahl des Geburtsortes und damit nur ein Teil des Prozesses.
Bei Widersprüchen auf einer untergeordneten Ebene lohnt sich der Blick von der übergeordneten Ebene. Bevor im zweiten Teil dieses Beitrages näher auf das Berufsrecht der Hebamme und die sich aus den Verträgen über die Versorgung mit Hebammenleistungen ergebenden Konsequenzen für die eigene Organisation eingegangen wird, liegt im ersten Teil der Fokus auf der Wahl des Geburtsortes aus der Perspektive der Frau.
Rechtliche Grundlagen
Die Entscheidung zum Geburtsort liegt vorrangig bei der Frau. Sie kann diese aufgrund eigener Grundrechte treffen, die in weiteren Gesetzen konkretisiert sind. Rechtliche Grundlagen unterliegen einer strengen Hierarchie, wobei das jeweils Nachgeordnete das Vorrangige berücksichtigen muss (siehe Abbildung 1).
Die Rechte der Frau stehen über dem Berufsrecht der Hebamme. Diese Rechte müssen sich in Verträgen wiederfinden, die zwischen Hebammenverbänden und Krankenkassen abgeschlossen werden.
Über allen rechtlichen Grundlagen steht das Grundgesetz, das dem Individuum in Deutschland weitgehende Freiheit garantiert.
Grundgesetz
Artikel 2
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Daraus ergeben sich für die medizinische Behandlung folgende Grundsätze, die sich in den Patientenrechten widerspiegeln, die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) festgehalten sind:
- Medizinische Eingriffe stellen eine strafbare Körperverletzung dar, wenn sie ohne Einwilligung erfolgen.
- Um diese Einwilligung frei und wirksam geben zu können, bedarf es einer Aufklärung (§ 630c bis d BGB).
Hiervon darf nur in sehr engen Grenzen abgewichen werden, wenn bei Gefahr für Leib und Leben sowie Eilbedürftigkeit eine Person nicht einwilligen kann, beispielsweise bei starkem Blutverlust und Bewusstlosigkeit, oder wenn ihre Einwilligung mutmaßlich vorliegt, beispielsweise bei einem Verkehrsunfall.
In weniger dramatischen Fällen kann eine Zwangsmaßnahme nur durch richterliche Verfügung gegen den Willen der Person durchgesetzt werden, ebenfalls nur in sehr engem Rahmen und bei Vorliegen einer konkreten Gefahr. Das Grundrecht der Freiheit umfasst auch das Recht, „unvernünftige" Entscheidungen zu treffen und sich dadurch eventuell selbst zu schaden. Die Verfasser des Grundgesetzes sind davon ausgegangen, dass mündige BürgerInnen in der Lage sind, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Alternative der staatlichen Bevormundung im persönlichen Bereich des Individuums weit schädlichere Konsequenzen für das Individuum und die Gesellschaft zeigten. Zwangsmaßnahmen mündeten in der Vergangenheit national und international in Vernichtung und Traumatisierungen, die noch heute nachwirken.
Der Frau steht es also frei, ob sie überhaupt Schwangerenvorsorge in Anspruch nehmen möchte, welche Diagnostik und Behandlung sie wünscht und ob sie Arzt beziehungsweise Ärztin, Klinik, Hebamme oder gar niemand in Anspruch nehmen möchte. Ihre Entscheidung muss sie nicht begründen und sie muss sich weder an Evidenzen orientieren noch an den Vorgaben, die für die Berufe existieren, mit denen sie in Kontakt kommt. Umgekehrt besteht kein Rechtsanspruch darauf, dass eine bestimmte Behandlung vorgenommen wird, für die keine Indikation besteht, und erst recht nicht, dass die Kosten dafür übernommen werden. Das Recht auf einen Kaiserschnitt auf Wunsch besteht daher grundsätzlich nicht, während das Recht auf eine Hausgeburt grundsätzlich besteht. Dies hat 2010 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EuGH) bestätigt.
In der deutschen Realität findet sich umgekehrt zur Rechtslage für jeden Wunschkaiserschnitt eine zahlungsbegründende Indikation, die die Abrechnung über die Krankenkassen rechtfertigt. Statistisch gab es 2013 gemäß der Perinatalstatistik keine Sectiones ohne Indikation (AQUA-Institut 2014), während es für Wunsch-Hausgeburten zukünftig jede Menge Kontraindikationen geben soll, wenn es nach den Vorstellungen des Spitzenverbandes der Krankenkassen (GKV-SV) geht.
Anspruch aus dem Fünften Sozialgesetzbuch
Der Anspruch der Frauen auf Betreuungsleistungen im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Geburt und der Zeit danach findet sich im Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) wieder. Dort heißt es:
„§ 24d Ärztliche Betreuung und Hebammenhilfe
Die Versicherte hat während der Schwangerschaft, bei und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung sowie auf Hebammenhilfe einschließlich der Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft und zur Schwangerenvorsorge."
„§ 24f Entbindung
Die Versicherte hat Anspruch auf ambulante oder stationäre Entbindung. Die Versicherte kann ambulant in einem Krankenhaus, in einer von einer Hebamme oder einem Entbindungspfleger geleiteten Einrichtung, in einer ärztlich geleiteten Einrichtung, in einer Hebammenpraxis oder im Rahmen einer Hausgeburt entbinden."
Der Anspruch auf diese Leistungen ist an keine weiteren Bedingungen geknüpft. Dies ist auch nicht notwendig, weil mit den übergeordneten Regelungen bereits alles gesagt ist.
Entscheidungsschritte
Aus der Perspektive der Frau ergibt sich daher für die Betreuung folgender Ablauf, der sich in der Berufsausübung der Hebamme widerspiegelt:
- Kontaktaufnahme und Ermittlung der Vorstellungen zur Betreuung, eventuell auch schon zum Geburtsort
- Anamnese mit Erhebung von Befunden
- Information und Beratung zu den Möglichkeiten in der Schwangerschaft und bei der Geburt sowie dem Leistungsanspruch
- Aufklärung allgemein und zu Besonderheiten aus Anamnese und Schwangerschaftsverlauf
- Bedenkzeit und Entscheidungsfindung
- Betreuung gemäß der Entscheidung der Frau.
Zu beachten ist, dass es sich nicht um einen geradlinigen einmaligen Prozess handelt, sondern dass dieser sich im Verlauf der Schwangerschaft ändern kann, so dass sich daraus ein anderer Ablauf ergibt. Ändern sich die Anfangsbedingungen, kann er auch in Teilen wiederholt werden. Die Frau kann sich jederzeit anders entscheiden und in ihre Entscheidungen fließen neben den medizinischen auch andere Kriterien ein. Diese können sein:
- Entfernung von ihr zu möglichen Leistungserbringern (Geburtshaus, Klinik) oder auch zur nächstwohnenden Hausgeburtshebamme
- Erfahrungen (bei vorangegangenen Geburten oder mit dem Gesundheitssystem allgemein)
- Alternativen
- Lebenseinstellung/Wertvorstellungen
- praktische Überlegungen (Betreuungsmöglichkeit von Geschwisterkindern, Erreichbarkeit von Bezugspersonen, Verfügbarkeit von Transportmitteln)
- Urlaubszeiten, Wetterbedingungen
- Einstellung von Bezugspersonen zur geplanten Vorgehensweise.
Die Entscheidung wird im Idealfall in einem Dialog zwischen Frau und Hebamme unter Einbeziehung aller Kriterien gefunden (Shared Decision Making).
Im konkreten Einzelfall wird die theoretische Wahlfreiheit außerdem bestimmt durch die realen Gegebenheiten. Bei suboptimalen bis katastrophalen Zuständen in der gesamten geburtshilflichen Versorgung – verbunden mit fortschreitender Einschränkung der Wahlmöglichkeiten und sinkender Qualität in der Betreuung – nimmt die vorgesehene optimale Vorgehensweise zur Qualitätsverbesserung in der Berufsausübung der Hebamme visionäre Züge an.
Eindeutige Pathologien
Es gibt eindeutige Pathologien, bei denen eine normale Geburt unmöglich ist, beispielsweise bei einer Placenta praevia oder einer Querlage. Bei anderen medizinischen Befunden ist es zu empfehlen, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, die über Hebammenhilfe hinausgeht und die heute in Deutschland nur in einer Klinik zu finden ist. Hierzu gehört beispielsweise das HELLP-Syndrom, Frühgeburtlichkeit oder ein Amnioninfektionssyndrom. Über die Notwendigkeit der ärztlichen Hilfe in diesen Fällen gibt es keinen Dissens zwischen Hebammen und Krankenkassen. Abgesehen von Abgrenzungsbedarf bei den Definitionen im Grenzbereich, könnte hierzu bei rein medizinischer Betrachtung einem Ausschluss zugestimmt werden. Vom Grundsatz der persönlichen Entscheidungsfreiheit der Frau aus betrachtet, ist ein kompletter „Ausschluss" auf der Vertragsebene der Hebammenvergütung aber trotzdem weder der richtige Regelungsort noch gibt es einen Regelungsbedarf. Denn der Verzicht auf medizinische Hilfe in diesen Fällen ist nicht gerade ein regelungsbedürftiges Massenphänomen. Wenn sie trotzdem vorkämen, würden sie einer individuellen Betrachtung gegebenenfalls unter Erwirken einer gerichtlichen Verfügung bedürfen. Im Allgemeinen gehen die Frauen mit der Entscheidungsfreiheit sehr verantwortungsvoll um, wie die von der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG) erhobenen Daten zeigen. Kritisch zu betrachten sind daher die Bestrebungen, Leistungen der Hebamme nicht zu vergüten, wenn entsprechende Diagnosen vorliegen.
Je nach Katalog könnte es sich beispielsweise auch darum handeln, dass:
- eine Diagnose erst nach der Geburt gestellt wird/werden kann (Infektion)
- die Inanspruchnahme außerplanmäßig erfolgt ist, wenn eine Hebamme bei einer raschen Frühgeburt in Anspruch genommen wurde, weil die nächste Klinik nicht mehr erreicht werden konnte
- eine Frau sich bei infauster Prognose für das Kind für eine Hausgeburt unabhängig vom Schwangerschaftsalter entscheidet.
Es ist weder hinnehmbar, dass die Frauen Hebammenleistungen selbst bezahlen müssen, noch dass sie sich in umständlichen Verfahren über eine Einzelfalldarstellung rechtfertigen müssen für die ihnen zustehende Inanspruchnahme einer Hebamme.
Risiken abwägen
Neben Komplikationen und Pathologien, die bereits eingetreten sind, gibt es einen weiten Bereich von Diagnosen, die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Komplikationen für Mutter oder Kind einhergehen. Problematisch ist hier, dass prinzipiell jede Komplikation unabhängig von Vorbefunden auftreten kann. Eine Uterusruptur kann auch bei einer Erstgebärenden ohne vorherige Operation auftreten. Sie gehört aber auch nach mehrmaligem Kaiserschnitt zu den seltenen Ereignissen.
Die Grenze, ab wann eine Wahrscheinlichkeit als zu hohes Risiko betrachtet wird, ist für alle Risiken unterschiedlich. Die Wahrscheinlichkeit verändert sich im Laufe der Zeit und sie ist abhängig vom untersuchten Kollektiv, von Rahmenbedingungen und weiteren Faktoren, die häufig nicht untersucht werden. So lassen sich Ergebnisse aus Kliniken nur bedingt auf den außerklinischen Bereich übertragen. Und selbst die Ergebnisse verschiedener Kliniken oder Studien unterscheiden sich erheblich. Berechnete Wahrscheinlichkeiten stellen immer nur den Durchschnitt dar und Ergebnisse lassen sich auf den Einzelfall nicht übertragen. Die einzelne betroffene Person ist nicht zu 20 Prozent betroffen, sondern zu 0 oder 100 Prozent. Es nützt ihr konkret wenig zu wissen, wie viel Prozent sich in der jeweils anderen Gruppe befindet.
Die Person hat nicht nur die Folgen zu tragen, die sich gegebenenfalls aus dem Risiko ergeben. Vielmehr müsste sie auch die Folgen tragen, die sich aus der Maßnahme zur Abwendung der ursprünglichen Gefahr ergeben. Daher ist es nur folgerichtig, dass diejenigen die Entscheidung treffen, die auch mit deren Konsequenz leben müssen, und sie in ihrem Recht zu stärken, sich eigene Strategien zur Verbesserung ihrer Situation zu überlegen.
Ein Beispiel aus der Praxis
Frau A. ist Lehrerin, privat versichert, 39 Jahre, erstes Kind. Sie hat sich bereits vor dem Kontakt mit der Hebamme intensiv informiert und mit den Möglichkeiten bei der Geburt befasst. Hintergrund ist, dass sie anlässlich eines unfallbedingten Krankenhausaufenthaltes eine schwere Lungenembolie hatte, bei der sie Todesängste durchlebte, die durch mangelndes Erstnehmen seitens des Personals und verzögerten Behandlungsbeginn noch verstärkt wurden und bis dato Auswirkungen zeigen. Sie schätzt das Wiederholungsrisiko für eine Lungenembolie oder Thrombose bei einer Operation am höchsten ein und möchte das Risiko für einen Kaiserschnitt daher auf das Minimum begrenzen. Ihr selbst erscheint eine Hausgeburt dafür das geeignete Mittel, da sie fürchtet, als ältere Erstgebärende mit Privatversicherung ein recht hohes Risiko für einen unnötigen Kaiserschnitt zu tragen. Mit ihrem Gynäkologen hat sie bereits eine postpartale Heparinisierung vereinbart.
Eine bereits erfolgte Lungenembolie stellt eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine erneute Thrombose oder Embolie dar. Das Risiko ist zwar gering, aber lebensbedrohlich. Im Falle des Eintritts wäre die sofortige Verfügbarkeit lebensrettender Maßnahmen sinnvoll. Demnach wäre die Geburt in der Klinik anzuraten.
Auf der anderen Seite stellt die Geburt selbst einen eher weniger kritischen Zeitabschnitt dar als das anschließende Wochenbett. Mögliche Prophylaxen wären eine Heparinisierung und das Tragen von Thrombosestrümpfen, die in beiden Settings möglich sind. Mangelnde Mobilisierung und durchgeführte Operationen erhöhen die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Thrombosen und Embolien erheblich. Es sollte auch in der Klinik möglich sein, im Hinblick auf die Vorgeschichte eine normale Geburt anzustreben. Die von der Frau durch Recherche und eigene Erfahrung gewonnene Einschätzung zur Kaiserschnittwahrscheinlichkeit und zur Geschwindigkeit der Einleitung eventueller Notfallmaßnahmen ist jedoch nachvollziehbar und durch Daten nicht zu widerlegen. Für sie besteht die Wahl zwischen einer schnellen Verfügbarkeit von Notfallmaßnahmen – die sie nicht erfahren hatte – und einer Senkung der Wahrscheinlichkeit des erneuten Auftretens einer Embolie.
Das Recht zur eigenen Entscheidung steht ihr zu und ist auch aus medizinischer Sicht zu unterstützen. Denn eine zwangsweise Geburt in der Klinik gegen den Wunsch und die Strategie der Frau würde die anzustrebende normale Geburt behindern.
Aus dem Beispiel wird deutlich, wie eine echte Qualitätsverbesserung in der geburtshilflichen Versorgung aussehen könnte: Zunächst gilt es, negative Erfahrungen in der Klinik zu minimieren und gegebenenfalls aufzuarbeiten. Die Klinik muss eine glaubwürdige Alternative bieten, wenn der Bedarf nach einer individualisierten Vorgehensweise besteht. Durch eine am Wohl und am Bedarf der Frauen orientierte Zusammenarbeit ließe sich die Sicherheit im ambulanten Bereich erhöhen. Im Beispiel ist dies die Verschreibung der notwendigen Medikamente für die Thromboseprophylaxe.
Frau A. hat zu Hause spontan und komplikationslos geboren. Auch im anschließenden Wochenbett traten keine Komplikationen auf. Mit der Betreuung durch Hebammen und Gynäkologen war sie sehr zufrieden.
Überlegungen zum Kindeswohl
Einschränkungen bei der freien Wahl der Mutter zum Geburtsort werden häufig im Zusammenhang mit dem Kindeswohl diskutiert. Der Mutter wird dabei die Entscheidung für sich selbst zugestanden, jedoch insofern wieder abgesprochen, als sie dadurch ihr ungeborenes Kind gefährden könnte. In Bezug auf geborene Kinder wird die Entscheidungsgewalt durch das Grundgesetz den Eltern zugesprochen, die auch über medizinische Maßnahmen für das Kind entscheiden.
Grundgesetz
Artikel 6
2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
Die Behandlung eines Kindes gegen den Wunsch der Eltern bedarf zum einen einer ganz konkreten Gefährdung, zum anderen einer richterlichen Anordnung, bei der sehr genau abgewogen und ein differenzierter Prozess eingehalten werden muss.
Aufgrund der engen Verbindung der Mutter mit dem ungeborenen Kind würden Zwangsmaßnahmen zum Wohle des Ungeborenen nicht nur Artikel 6 des Grundgesetzes betreffen, sondern über Artikel 2 direkt in die Rechte der Frau eingreifen.
In den letzten Jahren sind aus den USA, Brasilien und England vereinzelt Fälle bekannt geworden, in denen Frauen auf richterliche Anordnung gegen ihren erklärten Willen einen Kaiserschnitt erhielten. Alle Fälle wurden mit dem Kindeswohl erklärt. Bei allen sind aber auch die Indikationen, Vorgehensweisen und Zeitpunkte (beispielsweise weit vor Termin) Gegenstand heftiger Diskussionen und nachfolgender gerichtlicher Auseinandersetzungen.
Der erzwungene Kaiserschnitt gegen den Willen der Frau stellt nur die Spitze des Eisbergs dar. Weitaus häufiger ist der Kaiserschnitt mit Einwilligung, die jedoch nur unter erheblichem Zwang, Drohungen, durch ungenügende Aufklärung sowie ohne Berücksichtigung möglicher Alternativen erlangt wurde, was weitaus schwerer zu beweisen ist als die fehlende Unterschrift.
Die Fälle zeigen eine gefährliche Tendenz, Frauen die Entscheidungsgewalt über ihren Körper abzusprechen und über den Umweg des Kindeswohls Vorgehensweisen durchzudrücken, zu denen die Frauen gerade eine Alternative gesucht haben. In zwei Fällen handelte es sich um Frauen, die eine vaginale Geburt nach vorangegangenen Sectiones versuchen wollten, zu denen sie sich gedrängt oder ohne Not überredet fühlten (siehe Links).
Zu häufige Kaiserschnitte mit fragwürdigen Indikationen bei den ersten Kindern führen zwangsläufig zu mehr Frauen, die weitere Kinder entweder spontan bekommen möchten oder durch ebenfalls riskanter werdende Folgeoperationen und mit jeder Schwangerschaft steigendem Risiko für das Ungeborene gefährdet sind. Aufgabe der Medizin ist es, unnötige Erstkaiserschnitte zu vermeiden, auch um Risiken bei Folgeschwangerschaften und Geburten vorzubeugen.
Jedweder Zwang im Zusammenhang mit der Gebärfähigkeit bedeutet einen Konflikt mit den Menschenrechten. Die Aberkennung des Rechts der Frau auf Selbstbestimmung birgt das Risiko, sich auszuweiten in Zwangssterilisation, Zwangsschwangerschaftsabbruch, Kindeswegnahme und weitere gewaltsame Eingriffe. Jede Macht birgt das Potenzial des Machtmissbrauchs und der Verfolgung anderer – beispielsweise finanzieller – Interessen, die weit schwerer für das Kindeswohl wiegen können. Das Vorenthalten von Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten ist eine Form des Zwangs.
In Deutschland haben sich mehrere Eltern-und Mütterinitiativen formiert. Sie setzen sich mit Protesten und Petitionen gegen eine wachsende Beschneidung ihrer Rechte ein, die hierzulande mit einem forcierten Entzug der Hebammenhilfe bei der Geburt einhergeht.
Literatur
AQUA – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH: Bundesauswertung zum Erfassungsjahr 2013, 16/1 – Geburtshilfe, Qualitätsindikatoren, https://www.sqg.de/downloads/Bundesauswertungen/2013/bu_Gesamt_16N1-GEBH_2013.pdf (2014)
Case of Ternovsky vs. Hungary: Application no. 67545/09. European Court of Human Rights. 14 December 2010. http://hudoc.echr.coe.int/sites/fra/pages/search.aspx?i=001-102254#{"itemid":["001-102254"]} (letzer Zugriff: 4.6.2015)
Ergänzungsvertrag nach § 134a SGB V über Betriebskostenpauschalen bei ambulanten Geburten in von Hebammen geleiteten Einrichtungen und die Anforderungen an die Qualitätssicherung in diesen Einrichtungen, in der Fassung vom 1.6.2012: http://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/ambulante_leistungen/geburtshaeuser/Komplettversion_Ergaenzungsvertrag_nach__134a_SGB_V__Betriebskostenpauschalen_in_Geburtshaeusern__gueltig_ab_01012013.pdf (2012)
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